Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

möglicherweise auf dem Originalgemälde, wahrscheinlich aber doch auf dem Originalgesicht vorhanden war, wie wir allen Retuschen, Schminken und Verkleidungen mißtrauen.

In zweiter Linie kommt das Heer der mittelguten Reproduktionen und Zeichnungen, die doch irgendwie die wesentlichen Ausdruckszüge erraten lassen. Bei Bildern, wie dem lauernden Chaplin in „Die neue Zeit“ (XIV, 1) oder der Reproduktion des Porträts des Hofarztes Franz’ 12(x117,°2) sind sicherlich viele feinere Schwingungen verloren gegangen, und sie dienen uns hauptsächlich als Beispiele für ganz bestimmte Ausdruckshaltungen; dasselbe gilt von einer einfachen Holzschnittzeichnung, wie dem Schubert im Profil von Plachy (Fig. 36). Dagegen werden wir wieder eine schlechte Karikatur, wie den Schopenhauer von Csato (Fig. 24), einer guten Ausdruckszeichnung desselben Künstlers, wie der des Spinoza (Fig. 25), oder einer ebensolchen Schopenhauers (Fig. 23) von einem anderen Zeichner (Burger-Villingen) gegenüberstellen, um zu zeigen, daß es zweierlei Arten des Lächerlichen gibt, von denen die eine auf den Lacher selbst zurückfällt (vgl. den Abschnitt über das Lachen).

Recht verwendbar sind viele Photoaufnahmen, die uns ordentlich analysierbare Porträts liefern (Schmedes IX, 1; Chevalier XIV, 4; Frau Montessori IV, 8; unser Modell Michaela IV, 1-3; Lina IV, 7). Ebenso können uns einfache Zeichnungen, wie die Maske des Pastillenmannes (Fig. 12) schon recht hintergründige Physiognomien vor Augen stellen.

Den Wert von Originaldokumenten haben für uns jedoch viele der großen Gemälde aller Zeiten, durch die uns die Physiognomien bedeutender Männer und Frauen vielfach einzig überliefert sind. Ehrfüchtig stehen wir vor dem Schatz der Goethe-Bilder (II, 1-5), aber nicht minder vor den getreuen Porträtplastiken aller Zeiten. Reichstes Leben spricht uns aus dem Porträt Richard Strauß’ von Kraul?

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