Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

gnomiker das Ansinnen gestellt, auf der Stelle ein Porträt zu deuten. Man lehne solche Blitzdiagnosen ab und überlasse sie den Hellsehern, denn es kann naturgemäß nichts dabei herauskommen als ein Resonanzurteil, bei dem wir auf unsre Indizienmethode verzichten müßten. Kommt nun noch gar Nichtbeachtung der besprochenen Schwierigkeiten in Stoff und Form unsrer Objekte hinzu, wie z. B. Diagnose nach bloß einem Porträt und vielleicht gar nach einer wahllos herausgegriffenen Momentaufnahme, so kann man sich das Ergebnis leicht vorstellen; man wird sich nur lächerlich machen. In Amerika wurden *) auf breitester Basis und mit allen statistischen Finessen Versuche angestellt, indem man eine größere Anzahl von genau bekannten Versuchspersonen, erfahrene und gelehrte Menschen ebenso wie völlig einfache und ungeschulte, nach dem ersten flüchtigen Eindruck ein Urteil über die Frage der Intelligenz und der sympathischen Erscheinung andrer Personen, die ihnen auf einem Podium vorgeführt wurden, sowie über eine Anzahl von wahllos zusammengestellten Momentphotographien abgeben ließ. Das Resultat an Treffern war, wie die Amerikaner sich drastisch ausdrückten, 0,000 (null Komma null null null). Es wurden nebeneinander ein Schwachsinniger und der Direktor einer großen Fisenbahngesellschaft vorgeführt und „die Menge konnte nicht sagen, welcher welcher sei‘. Kein Wunder: es waren hier rein resonanzmäßig Urteile zu fällen, in dem einen Fall sogar nach Momentaufnahmen, welche die Gesetze des fruchtbaren Moments gänzlich außer acht ließen. Es kommt die Beeinflussung durch die Körperformen hinzu, die uns geneigt macht, Menschen mit den regelmäßigsten Zügen auch den besten Charakter zuzutrauen (Heiligenschein-Effekt der Amerikaner). Flüchtige Ähnlichkeiten mit anderen, bekannten Personen usw. bewir-

*) Nach einem Bericht von Dr. Egon Brunswik.

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