Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Das entſchiedene Eintreten Rußlands war hiermit, troß des Schleiers, mit dem es noch verhüllt blieb, zur Thatſache geworden.

Eben dasſelbe, was er dem Großvezier vorgetragen, bemühte ſi General Fg natieff auh dem Sultan während einer zweiſtündigen Audienz darzulegen. Man ſieht, daß die Politik, welche in der amtlihen Mittheilung in Ausſicht geſtellt worden, in dem thatluſtigen Botſchafter des Czaren am Goldenen Horn einen energiſchen Vertreter fand. Es wurde auc dafür Sorge getragen, daß, ſo weit dies dem ruſſiſchen Blendwerk bei den Rajahs zuträglih ſcien, au< ſofort bekannt würde, welche Schritte der Repräſentant Rußlands zu machen beauftragt war. Dieſe Oeffentlichkeit, welche bei dem Vorgehen der ruſſiſchen Diplomatie beobachtet wurde, erregte begreiflicherweiſe in ganz Europa eine gewiſſe Senſation und es fehlte nicht an zahlloſen Erläuterungen, die beinahe alle zu der Schlußfolgerung kommen wollten, daß Rußland eine einſeitige Handlung zu beginnen beabſihtige oder ſi< wenigſtens auf ſehr zeigbare Weiſe in den Vordergrund zu ſchieben denke.

Indeſſen waren in jüngſter Zeit in gleichem Sinne-auch von den Vertretern der anderen beiden Mächte des Drei-Kaiſer-Bündniſſes ſowohl dem Padiſchah als deſſen Miniſtern Vorſtellungen gemacht worden. Namentlich hatte Graf Zichy Gelegenheit, die Nothwendigkeit von Reformen zu betonen, wel<he allein eine dauernde Herſtellung des Friedens der Provinzen bewirken konnten, deren ſtets wiederkehrende Aufſtände für OeſterreichUngarn ſo ernſte Verlegenheiten und Verwi>elungen im Gefolge hätten. Es herrſchte überhaupt in Bezug auf die Maßregeln, welche zur Verbeſſerung der Lage der criſtlihen Unterthanen des Sultans und namentlich betreffs einer Dauer verheißenden Friedensſtiftung in Bosnien und der Herzegowina in Ausſicht genommen werden müßten, zwiſchen den drei Kaiſermächten die vollſtändigſte Uebereinſtimmung, und es ſtand zu erwarten, daß ſich die anderen europäiſ<hen Mächte denſelben anſchließen würden. Welcher Art jedo<h die Maßregeln, auf deren Durchführung in Bosnien und der Herzegowina gedrungen wurde, ſein mochten, konnte ſi< erſt nah Schluß der Verhandlungen herausſtellen. So viel war indeß gewiß, daß man entſchloſſen ſchien, mit dem neueſten Jrade des Sultans und ähnlichen {önen Verheißungen auf dem Papiere ſi< niht zu begnügen, ſondern reelle Vürgſchaften für die gewiſſenhafte Durchführung der vereinbarten Reformen zu fordern.

Oeſterreih-Ungarn konnte in keinem Falle zugeben, daß die Aufſtände jenſeits ſeiner Grenze ſich jedes zweite, dritte Jahr erneuerten, ſeine Grenzprovinzen in Aufregung verſeßten und ihm dur eine Ueberſ<hwemmung von Flüchtigen immer wieder von Neuem ſ{<wer erſchwingliche Laſten aufgebürdet würden. Wenn es auh nur

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die ſo bedeutenden materiellen Opfer geweſen wären, welche der bosniſ<-herzegowiniſhe Aufſtand indirect an Koſten der vermehrten Grenz-. überwachung und Unterſtüßung der hunderttauſend ohne den von Oeſterreih gereihten Nothpfennig dem unvermeidlihen Hungertode preisgegebenen Flüchtlinge bereits verurſachten, ſo wären dieſe für Oeſterreih {hon Grund genug, auf einen dauernden Friedensausglei<h zu dringen. Es mußte eine Bürgſchaft geboten werden dafür, daß in Bosnien und der Herzegowina endlich eine unbeſtritten anerkannte Autorität gelte, welhe gleiches Recht für Alle auszumeſſen die Mahtmittel beſaß, und welche im Stande “war, den erhißten Fanatismus der Parteien und die blutgierige Nacheluſt der eingeborenen Moslim mit ſtarker Fauſt in Schranken zu halten.

Einiges Aufſehen erregte es, als Raſchid Paſcha, der türkiſche Botſchafter am kaiſerlichen Hoflager zu Wien, zum Miniſter des Aeußeren in Conſtantinopel ernannt wurde, wel<hen Poſten derſelbe ſhon 1873 bekleidet hatte. Naſchid erfreute ſi< übrigens des beſten Rufes, geiſtiger Begabung, reicher Erfahrungen und diplomatiſcher Gewandtheit, man meinte, er ſei ſeiner ſhwierigen Aufgabe wohl gewachſen.

Aus Nußland kamen indeſſen auh Nachrichten von bedeutenden, daſelbſt ſtattfindenden Rüſtungen und Truppenbewegungen, die hauptſächli<h in Podolien, Volhynien und Beſſarabien ſtattfanven. Auch von Feldausrüſtungs-Vorbereitungen, wie von Ausſchreibung großer Lieferungen an Proviant und Sanitäts-Materiale war die Rede. Jn Petersburg behauptete man zwar, die derzeitigen ruſſiſhen Truppenbewegungen in den ſüdweſtlichen Provinzen des Reiches repräſentirten nichts Anderes als eine organiſatoriſhe Wandlung, welche inſoferne äußerlih auffällig erſcheinen mochte, als die geſammte Militärbewegung ſi nur auf eine Linie zuſammendrängte und in Folge deſſen den Charakter der Maſſenhaſftigkeit annahm; die ganze Sache aber reducire ſich einfa auf den nah den eben beendigten Lagerperioden organiſationsgemäß ſtattfindenden Standeswechſel der Urlauber und Recruten und den um dieſelbe Zeit dur<zuführenden Truppenverſebungs-Wechſel. Was die Feldausrüſtung betreffe, ſo könne von diesbezüglichen Vorbereitungen und Anſchaffungen aus dem Grunde keine Rede ſein, weil alles dazu Gehörende bei jedem ruſſiſchen Negimente auh im tiefſten Frieden vollſtändig vorhanden ſei. Die Ausſchreibung von Lieferungen endlih ſei gleihfalls nur normalmäßig, wie“ denn in allen anderen Armeen ja auh im Spätherbſte der Bedarf für das nächſte Jahr ſichergeſtellt werde.

Beunruhigender lauteten die Nachrichten aus Serbien, wo das neue Miniſterium Kaljewitſ< ſeine Thätigkeit begonnen hatte. Ein ſ{hwer-