Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

und Agas ſtatt, bei welcher wegen des ReformJrade ſehr harte Worte fielen. Wenn es mit der Durchführung desſelben Ernſt werden ſollte, drohten bisher ungeahnte Schwierigkeiten der Pforte von der mohammedaniſchen Bevölkerung.

Angeſichts ſolcher ſi< regender Widerſtandsgelüſte wurde die Nothwendigkeit, daß die fremden Mächte die Verwirklichung der verſprochenen Reformen überwachten, um ſo gebieteriſcher. Selbſt die „Turquie“ in Conſtantinopel erklärte, in der ehrlichen und entſchloſſenen Anwendung der eben verfügten Maßregeln beruhe zum größten Theile die Wiedergeneſung des Reiches, und ſie beſhwor alle einſihtigen und patriotiſhen Männer, für die Reformen zu wirken, von denen die Zukunft des Landes abhänge. Wie ſ{hwer es ſei, die Eiferſucht, die Vorurtheile, die Verachtung der Mohamme_ daner gegen dieChriſten zu beſiegen, welche Hinderniſſe fih der türfiſhen Regierung bei dem beſten Willen entgegenthürmen würden, davon gab die Kunde von dem Meeting (Zuſammenkunft)inTraw- nik einen kleinen Vorgeſ<hma>. Um ſo dringender war die Aufſicht der fremden Mächte erforderlich.

Earl Derby hatte in ſeiner Edinburgher Rede nicht mit Unrecht auf die harte

Arbeit hingewieſen, welche auch die fried: lichſte und wohlwollendſte Einmiſchung in die türkiſchen Angelegenheiten der europäiſchen Diplomatie bereiten müſſe. Er hatte auh mit richtigem Bli>ke die gefährlihe Klippe erkannt, die ſorgfältig vermieden werden mußte: das Werk der Diplomatie durfte nämlich nicht ſo gethan werden, daß die Chriſten in Bosnien und der Herzegowina auf den Gedanken fommen fönnten, ſie lebten fortan unter fremdem Schutze. Solche Auslegung würde ein Reizmittel zu neuen Aufſtänden geweſen ſein und mußte durchaus verhütet werden. Troßdem aber konnten die Mächte nicht darauf verzichten, die Durchführung der Reformen ſelbſt zu controliren. Dem Aufſihtsrathe, der zu dieſem Zwe>ke von der türkiſchen Regierung eingeſezt werden ſollte, fonnte man fein großes Vertrauen ſchenken. Seine

Midhat Paſca.

Mitglieder wurden ja von der Regierung ernannt, waren von ihr abhängig und entbehrten daher jeder Selbſiſtändigkeit. Wenn Ma h mu d Paſcha eines Tages gefunden hätte, daß der Aufſichtsxath ſeine Pflichten zu“ ſorgfältig erfülle, fonute ex ihn einfa<h entlaſſen. Es bedurſte alſo einer wirkſameren und einflußreiheren Ueberwachung des türkiſhen Reformwerkes, und dieſe zu üben, dazu waren wohl zunächſt die an Ort und Stelle anweſenden Botſchafter der fremden Mächte berechtigt.

Die Ernennung Ahmed Mukhtar Paſchas zum Obercommandanten der türkiſchen Truppen in der Herzegowina gab dem Reform-Ferman eine ganz eigenthümliche Flluſtration und exſchien in einem ganz beſonderen Lichte, wenn man das Vorleben dieſes türkiſchen Generals kannte.

Ahmed Mukhtax gehörte nämlich zu den entſchiedenſten

und einflußreihſten

Perſönlichkeiten der

heutigen Türkei. Er war früher (bis 1874) „Sheik - al - Jslam“, das heißt der Chef der Corporation der Ulemas (geiſtlichen Geſeblehrer), und als ſolcher neben dem jeweiligen Großvezier die mächtigſte Perſon des Osmaniſchen Reiches als Haupt der Gläubigen, Oberſter der Geiſtlichen — als eine Art tüxfiſher Papſt. Die Functionen des Scheikal-Fslam, oder „Alten vom Jslam“, beſtehen bekanntlih darin, daß er darüber zu wachen hat, daß kein Regierungsact gegen die Satzungen des Korans verſtoße, alſo auh keine Reform-Maßregel. Es erſcheint kein Decret, welches niht zuvor mit dem Bidi des Scheik-al-Jslam verſehen ſein muß, und der Sultan ſelbſt ſteht alſo gewiſſermaßen unter der Cenſur dieſes hohen Beamten, der jedesmal, gerade ſo wie der Großvezier, den Titel „Hoheit“ führt und Veziers-Rang bekleidet. Daß er niht ſogar mächtiger iſ als der Sultan, daran hindert ihn nur ſeine Abſetzbarkeit.

Achmed Mukhtar nun war ein ſo ſtrenger, ein ſo mohammedaniſh glaubensſtarker Scheikal-Jslam, daß er, der 1872 zu dieſer Würde erhoben worden war, ſelbſt die conſervativſten