Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

beſeßt waren, mittelſt Dynamit in die Luft zu ſprengen verſucht, jedoh ohne Erfolg; aber gegen Morgen ſte>ten ſie das kleine Magazin unterhalb des Mauthgebäudes in Brand und erbeuteten dabei Proviant im Werthe von etwa 10.000 Gulden. Die Beſatzung der Mauth, etwa ſiebzig Mann, hatte es verabſäumt, zur re<ten Zeit Alarm zu {<lagen.

Die Folge dieſer Vorgänge war, daß die Stimmung in Conſtantinopel wieder eine ſehr kriegeriſche wurde. Schon vor Längerem war dort die Ueberzeugung ausgeſprohen worden, daß die Fortdauer der Unruhen in der Herzegowina weder eine Folge der Stärke der Aufſtändiſchen, oder der Unzugänglichkeit des aufſtändiſchen Gebietes geweſen ſei, no< hatte es der Ohnmacht und Unfähigkeit des kaiſerlihen Heeres zugeſchrieben werden können, ſondern es hätte éinzig und allein von der moraliſchen und materiellen Unterſtüzung hergerührt, welché dem Aufſtande von den benahbarten ſtamm- und glaubensverwandten Völkern zu Theil geworden war. Man erklärte daher, daß die Unterdrü>ung des Aufſtandes nux dur die vollſtändige Abſchließung desſelben von den Nachbargebieten beſchleunigt werden könnte und betonte die Nothwendigkeit, daß Serbien und Montenegro erforderlichen Falles dur< A nwendung von Gewalt zur Achtung der Neutralitätslinie gezwungen werden müſſe.

Seitdem — ſagte man einerſeits — Montenegro zu einem beſonderen Fürſtenthume erhoben iſt, wurden Ströme Blutes vergoſſen ; es iſt nun geboten, daß dem „barbariſhen“ Verhalten dieſes Gebirg8volkes einmal ein Ende gemacht werde. Wenn Europa den Frieden liebt, muß es die Austragung des Streites der Allgewalt unſeres Kaiſerthums überlaſſen, denn ſonſt werden dieſe Ruheſtörungen niht aufhören, die „civiliſirte“ Welt immer wieder von Zeit zu Zeit in Aufregung zu erhalten. Eine ähnliche Sprache führten wieder Andere, welche fragten, ob denn Montenegro allein niht dem Völkerrechte unterworfen ſei, und ob Serbien dasſelbe niht auh zu wiederholten Malen bis zu einem gewiſſen Punkte verleßt habe. Wenn man .— ſo hieß es da — die hohe Achtung Europas für das internationale Völkerreht betrachtet und erwägt, daß Europa den Weltfrieden nur dur< die Glei <hheit der Rechte eines jeden Volkes und eines jeden Staates bewahren kann, ſo wird man der fkaiſerlih ottomaniſhen Regierung unmöglih das Recht abſprechen können, daß ſie die Achtung des Völkerrehtes auh einem Volksſtamme auferlege, der ſfi<h aus dem Rahmen des Völkerrehtes - herausdrängt und es wagt, ſeine Pflichten mit Füßen zu treten und ſeine Grenzen für anti-völkerre<htlihe Handlungen offen zu halten. Wenn dieſes Europa, das ſi<h das Völkerre<t zur Richtſchnur für ſein Verhalten genommen

Himmermann, Geſch. des orient. Krieges.

hat, es wünſcht, daß die ſogenannte orientaliſche Frage verſhwinde, ſo muß es wohlwollenden Blickes auf eine Ueberſchreitung der neutralen Linie ſeitens des ottomaniſhen Kaiſerreiches ſchauen, damit dasſelbe dem Völkerrehte Achtung verſchaffen könne. Die Unterdrückung des Aufſtandes in der Herzegowina kann nur auf dieſe Weiſe beſchleunigt werden.

Dieſen Großſprechereien gegenüber wies man in England auf die Hoffnung einer freundlichen Auseinanderſeßung mit Montenegro hin, gegründet auf das einmüthige Beſtreben der drei Nordmächte, die Ruhe im Orient auf feſten Grundlagen herzuſtellen. Es wurde nur eine Note ſeitens der Pforte an die Mächte in Ausficht geſtellt, des Junhalts : die Regierung des Sultans ſei enttäuſcht,

“weil Fürſt Nikolaus nict vollſtändig ſeine

Verſprehungen und Verpflichtungen habe halten fönnen.

Aber auh in Cettinje fühlte man ſi<h am Hofe des Fürſten Nikolaus durh directe, von befreundeter Seite in Conſtantinopel erhaltene Winke beengt. Man wußte dort, daß die Pforte, angebli<h durch die Rathſchläge des britiſhen Botſhafters Sir Elliot ermuntert, über ein Ultimatum berieth, welches, wenn niht die Einflüſſe anderer Mächte ſi< inzwiſchen dagegen geltend machen würden , längſtens bis Mitte des Monats Jauuar in Cettinje präſentirt hätte ſein fönnen. Die Pforte ſollte ausgiebige Garantien für die loyale Beobachtung ſtricter Neutralität ſeitens Montenegros zu verlangen willens geweſen ſein. Würden ſolhe Garantien niht gegeben, ſo wollte die Pforte ſi< dieſelben aus eigener Machtvollklommenheit verſchaffen.

Auch in Belgrad ſah man einer ſolchen Verwi>elung der Verhältniſſe niht ohne Bekümmerniß entgegen. Einmal, weil ein ſolhes Vorgehen der Pforte gegen Montenegro der Beſorgniß Vor{ub leiſten mußte, daß au<h Serbien eines \<önen Tages der Gegenſtand einer gleichen diplomatiſchen Verfahrungsart werden könnte; weiters aber, weil gewiſſe Verpflichtungen neueren Datums zwiſchen Belgrad und Cettinje zu beſtehen ſchienen, welche Serbien für den Fall einer Bedrohung Montenegros eine Stellung aufgezwungen hätten, an die es unter den gegenwärtigen Verhältniſſen am wenigſten gedacht hatte. Fndeß hoffte man auh hier, ebenſo wie in Cettinje, daß es den diplomatiſhen Einwirkungen der Mächte in Conſtantinopel gelingen werde, die Pforte von der Verwirklichung eines Vorhabens abzubringen, welches ſicherli<h mehr als die ſeitherigen Ereigniſſe in der Herzegowina, die Ruhe und den Frieden des europäiſchen Oſtens ernſtlih zu gefährden geeignet geweſen wäre.

Dagegen herrſchte unter den im Auslande ſih befindenden Montenegrinern große Mißſtimmung wegen der zaudernden Haltung ihres heimiſchen

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