Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

der Miniſter und Departements (Verwaltungskreiſe) bezüglih Ausführung der proclamirten Reformen zugehen und die Beantwortung ſtreitiger Fragen ſowohl, wie die Erlaſſung der für “die Ausführung nöthigen Verfügungen anheimfallen. Die ſtändigen Mitglieder des Executiv-Rathes ſollten ſi< tägli< verſammeln und ihre Aufgabe überwachen, dabei aber behufs gründlicher Aufſicht und Unterſuhung von einem Aus\huß competenter Perſonen unterſtüßt werden. Vom Volke erwählte Abgeordnete ſollten ferner ermächtigt werden, der Pforte alle berechtigten Beſchwerden und der Gerechtigkeit und den Geboten des Sultans zuwiderlaufenden Handlungen zur Kenntniß zu bringen. Der Executiv-Rath war, neben der Ausführung der Reformen, au< noh beauftragt, weitere Reformpläne zu ſtudiren und der Pforte vorzulegen, und ſeine Befugniſſe ſollten nah Bedürfniß Erweiterungen erhalten.

Auch ſandte die Pforte an die Valis Juſtructionen wegen der Wahl der Mitglieder der Tribunale und Provinzialräthe. Gerüchtweiſe verlautete, daß der Pfortencommiſſär in der HerzeY Sever Paſcha, zurü>berufen werden ſollte.

Trob aller Reform-Verſpre<hungen gährte es doh no< im ganzen Türkiſchen Reiche. Man ſah nur zu bald ein, daß, während man ſi< in Conſtantinopel den Anſchein und die Mühe gab, alle Unterthanen des Sultans dur< Reformen zufriedenzuſtellen, welhe mit verſhwenderiſcher Freigebigkeit entworfen und fungemaht worden waren, doh in der Praxis gar nichts geſchah; daß die BVilajets- Regierungen von ihrem alten Willkür-Regimente niht abſtehen wollten. Nicht nur, daß ſi< au nict die leiſeſte Beſſerung in den ererbten Verhältniſſen zeigte, ſo ließ ſi< im Gegentheile ſogar eine wachſende Verſchlimmerung der Zuſtände erweiſen.

Jn Bulgarien z. B. war die Bevölkerung in Folge der Verkündigung des Reform-Frade in eine begeiſterte Aufregung gerathen, welche ſie niht nur alle erfahrenen Bitterkeiten eines unbeſchreiblihen Regierungsſyſtems vergeſſen ließ, ſondern auh mit aufrichtig gemeinten, treuen Unterthan8-Gefühlen für den Sultan und den Großvezier, als die Begründer einer neuen menſcenwürdigen Zeitre<nung für die bulgariſche Nation, zu erfüllen hien. Nah Verkündigung des ReformJrade fehlte es au< in ganz Bulgarien keineswegs an jenen Freudenausbrüchen, welche die türkiſchen Machthaber erkennen laſſen konnten, wie empfängli<h das Gemüth des Bulgaren für das von ſeinem angeſtammten Herrſcher kommende Gute iſt.

Indeſſen ſollte ganz Bulgarien aus ſeinem Himmel, in dem es ſi< zu befinden ſchien, nur allzu bald geriſſen werden. Es gingen daſelbſt

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Dinge vor, von welchen die europäiſche Außenwelt ſi< nihts träumen ließ. Um nur einen fleinen Begriff von den Leiden der bulgariſchen | Bevölkerung zu geben, mögen einige wenige Vorfommniſſe thatſähli<her Natur aus jenen Tagen angeführt werden.

Ein Bulgare, Namens Stojan Duſſyſoff, aus dem Dorfe Korten, ging in einen naheliegenden Wald, um Bäume zu fällen. Kaum einige Schritte von dem Dorfe entfernt, wurde ex von einem Türken, welcher ſhon lange ein Auge auf das ſ{höne Weib des Bulgaren geworfen, überfallen und dur< einen Piſtolenſhuß aus der Welt geſchafft. Die Klagen der Verwandten des Ermordeten bei der türkiſchen Behörde fruchteten nihts. — Der Bulgare Kuntſ<o Gavriloff begab ſi< in das türfiſhe Dorf Jardvaulia, um die ihm von einem Einwohner des Dorfes geſtohlenen Ochſen zurü>zufordern. Der Dieb gab der Rückforderung inſoferne Folge, als ex den „Giaur“ (Ungläubigen) unter dem Vorwande erſhlug, es hätte derſelbe einen Aufſtand anzetteln wollen. Die Behörde blieb au< dieſem Morde gegenüber theilnahmslos und der Mörder ſpazierte na< wie vor unbehelligt umher. — Ein Bulgare aus dem Dorfe Kadukoj, Namens Fodor, lieh ſi< achtzig Piaſter aus, um Mehl für das tägliche Bedürfniß der Familie einzukaufen. Ganz in der Nähe von Slivno wurde er von den Türken überfallen, au8geraubt und ermordet. Ein Zaptieh ſah der Unthat zu, ließ aber den „Giaur“ in aller Gemüthlichkeit erſhlagen. Es wurde keinerlei Unterſuchung vom landesfürſtlichen Stellvertreter vorgenommen.

Das Dorf Kurudje wurde von Türken angezündet und ausgeplündert. Beſtrafung dafür gab es keine. Man konnte keinen Mohammedaner auftreiben, der Zeugniß gegen ſeine Religionsgenoſſen abgelegt hätte; die Ausſage der Chriſten wurde aber nicht angehört.

Ein Türke aus dem Dorfe Subaſchkoj, Namens Suleiman Aga, hatte eine Forderung von einem Bulgaren aus dem Dorfe KüſſeMale einzucaſſiren. Der Schuldner zahlte. Nach einigen Tagen ließ der Aga (Herr) den Bulgaren rufen und verlangte eine nochmalige Zahlung, die der arme Mann niht leiſten konnte. Darauf wurde der Bulgare in eine Hütte eingeſperrt und bekam tägli< dreimal die Baſtonade. Auf viele Vitten der Verwandten des Unglülichen ließ ſi< endlih der Aga herbei, den Mißhandelten in Freiheit zu ſeen, aber unter der Bedingung, daß derſelbe ihm innerhalb dreier Tage die angelogene Schuld zahle. Der Bulgare verkaufte Alles aus dem Hauſe und befriedigte den Tyrannen. Die Behörden nahmen von einer Klage gegen dieſen Menſchen keine Notiz.

Die Liſte ſolcher Miſſethaten iſt no< lange niht erſhöpft, aber das Angeführte dürfte zur