Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Genüge beweiſen, wie es mit der Exiſtenz der Bulgaren au< ſeit dem gelobten Reform-Frade beſtellt war.

Auf der Juſel Ca n dia (das Kreta der Alten) ſpukte es ebenfalls ; die Pforte ſandte daher eiligſt den Eſſad Be y, geweſenen Geſandten in Athen, dahin, um die Gemüther zu beſhwihtigen. Seit 67 v. Chr. römiſ<, dann nacheinander unter griehiſher, arabiſcher (823), no<hmals griechiſcher (961), genueſiſher, venetianiſher Herrſchaft, iſt dieſe Jnſel des Mittelmeeres ſeit 1668 türkiſch. Jm Jahre 1858, beſonders aber 1866 bis 1867, wüthete ein erbitterter Unabhängigkeitskampf der Griechen auf Candia mit der Tendenz des Anſchluſſes der Jnſel an Griechenland und es erreichte die Türkei die Herſtellung des Friedens nur dur< das Zugeſtändniß bedeutender Reformen und Begünſtigungen.

Auch in Rumänien zeigten ſich neue Selbſtſtändigkeit8gelüſte. Die rumäniſhe Kammer fand es an der Zeit, die Rechte des Landesfürſten gegenüber der Pforte abermals zu erweitern, indem künftighin ihm au<h Reg al- (landesfürſtliche Hoheits-) Rechte, als Eigenſchaftszeichen eines ganz ſelbſtſtändigen Regenten, zuſtehen ſollten. Er ſollte Orden ſtiften, rumäniſhe Münzen mit ſeinem Bildniſſe prägen laſſen dürfen. Bisher hatten die Rumänen des Fürſten Karl Ebenbild nur auf rumäniſchen Briefmarken prangen ſehen. Das Recht der Ordensverleihung aber war einzelnen türkiſhen Vaſallenfürſten bisher nur in der Form gegeben, däß ſie zwar den türkiſchen Medjidie- Orden, aber keine ſelbſtſtändigen Orden verleihen durften.

Noch unangenehmer lauteten die Depeſchen des Juſurrections-Commandos aus der Herzegowina, bei welhem Nachrichten aus der Umgebung des Fürſten von Montenegro eingelangt waren, die ganz beſtimmt erklärten, daß die Cernagora Ende Februar mit der Action gegen die Pforte beginnen wolle; es galt dies glei<hſam als Antwort auf die türkiſchen Drohungen. Rußland ſollte damit einverſtanden und ein geheimer Courier auf dem Wege nach Cettinje geweſen ſein. Bei BosniſchhDubißa hatten die Fnſurgenten am 1. Fanuar drei Türken gefangen genommen, denſelben die Köpfe abgeſchnitten und dieſe auf Pfähle geſte>t.

Der ſerbiſhe Prätendent Peter Karageorgewitſ< organiſirte fortwährend an einer Legion, die bereits 1850 Mann ſtark war und zumeiſt aus bosniſchen Chriſten beſtand; das Hauptquartier Peter's befand ſi<h bei Vojna, nicht weit von der öſterreichiſhen Grenze. Da derſelbe gutes Handgeld und pünktli<h reihli<hen Sold vertheilte, ſo glaubte man, daß es ihm gelungen ſei, in Paris eine größere Anleihe zu \<ließen. Und aus der Militärgrenze wurde berichtet, daß in den Grenzgemeinden Belgrader Agenten herum-

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reiſten, welhe unter dem Landvolke ſerbiſcher Nationalität Medaillen mit der Jnſchrift : „Seid bereit, Serben, zum Kampfe für das Serbenthum! Nieder mit Ungarn !“ vertheilten und au< font das Volk aufzureizen verſuchten.

Aus Serbien ertönte ebenfalls von Zeit zu Zeit die dröhnende Kriegspoſaune. Das kleine ſerbiſche Staatsweſen wurde ohnedies bereits ſeit Fahr und Tag von den heftigſten Parteikämpfen zerfleiſht, von den heftigſten Wühlereien unterminirt. Die ſi< „Liberale“ nennende Partei verſ<hmähte kein Mittel, um ſi< in den Beſiß der Gewalt zu ſeben; ſie bediente ſi< zu dieſem Zwe>e der ſhlimmſten Volksleiter, wel<he müde, Werkzeuge abzugeben, nunmehr ſih ſelbſt auf den Sattel \{<wangen und faſt das ganze Gebiet des ſtaatli<hen Lebens mit deſpotiſher Macht beherrſchten. „Conſervative“ wie „Liberale“, beide Parteien waren „entthront“, zu Boden geworfen, und das Staatsſciff, eines fähigen Lenkers beraubt, irrte ri<htungs- und ziellos auf den \ſ{<äumenden Wogen der Parteileidenſhaften herum. Seit Monaten laſtete das Bewußtſein dieſer unglülihen Lage der Dinge centnerſ<hwer auf den Gemüthern jener wenigen Serben, die no< Herz und Verſtand genug behalten hatten, um das Vaterland zu betrauern und die Größe der Gefahr zu bemerken.

Einen tiefen Einbli> in die verrotteten ſerbiſchen Zuſtände bot eine Sitzung des Verwaltungs-Aus\chuſ}ſes des Bürger-Caſinos, an deſſen Spitze D\ch oka Simit\< ſtand. Dieſer Patriot eröffnete ſeinen Aufruf an alle Fene, welche ih ſtets dur< eine lebhafte und thatkräftige Vaterlandsliebe auszei<hneten und von denen auch jeßt eine Bethätigung ihres Patriotismus zu erwarten ſtand, mit den tiefernſten Worten:

„Je näher wir dem Frühlinge kommen, deſto näher rü>t der Augenbli> heran, in wel<hem über Sein und Zukunft der geſammten ſerbiſchen Nation die Entſcheidung fallen dürfte !“

Die angeſehenſten Bürger der ſerbiſhen Reſidenz leiſteten dem Aufrufe Folge, verſammelten ſich in den Sälen des Caſinos zu einer Beſpre<ung darüber, wie man bei Zeiten die Hilfeleiſtung für die Verwundeten im künftigen nationalen Kriege organiſiren könne. Die nun folgenden Erörterungen zeugten für den Ernſt der Situation, bekundeten aber auh den energi{hen Willen, den ſ{<hweren Pflichten in ausreichendem Maße gere<ht zu werden. Es wurde ein Vierziger-Comité gewählt, das unter dem Präſidium des Metropoliten von Serbien, Erzbiſchof Michael, die Organiſation des Werkes der Humanität glei<h in Angriff zu nehmen hatte.

Abgeſehen von dem Volks-Enthuſia3mus gebot die Lage des Landes abſolut eine Ableitung na< Außen nach der feſtſtehenden Anſicht der meiſten Serben, Es tauchte die Nachricht auf,

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