Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

damit der Großherr das elende Pflaſter nicht zu ſehen bekomme, das ſonſt gewöhnli<h an den übrigen Tagen getreten werden muß. Jn den Straßen ſind auch ſtellenweiſe Fnfanterie- und Cavallerie-Abtheilungen aufgeſtellt ; Leßtere machen ſi<h während der mehrſtündigen Ceremonie den Dienſt ſehr leicht, ſie ſteigen von ihren prächtigen Pferden ab und ſpazieren in den Straßen auf und nieder. Von dieſen Abtheilungen iſ ſtets nur die eine Straßenſeite eingenommen, die andere bleibt dem Publikum überlaſſen.

Es entrollt ſi< von Seite desſelben ein ſehr buntes Bild. Niemand will gern den Augenbli> unbenüßt vorübergehen laſſen, wo es ihm gegönnt iſt, den Großſultan von Angeſiht zu Angeſicht zu ſehen, es machen da weder die Secte der Schiiten (Jrrgläubigen) no< die der Sumitei (Anhänger des religiöſen Ueberlieferung8buches Suma) u. A. eine Ausnahme. Die Europäer beſetzen zumeiſt die Hauptſtraße Galatas, die große Brüce und den Plat vor der Yeni-Djami in Stambul; weiter hinauf gegen die Hohe Pforte und die Serailmauer drängen ſi<h die Vorbilder der mohammedaniſchen Welt, wie modern gekleidete Reformtürken, conſervativ beturbante Beys vom Lande, Perſer mit hoher Kegelmüße, Kurden (Aſiaten), ja ſelbſt Chineſen und Tartaren mit ihren rieſigen, das ganze Geſicht überſhattenden Kopfbede>ungen. Bei der Serailpforte ſelbſt kauert auf den Sand- und Steinhügeln abgetragener Gebäude ein Haufen moslemitiſcher Weiber, welche Stunde um Stunde harren, um den „König der Könige“, den „Schatten Gottes“, das „Licht der Erde“ ſtrahlen zu ſehen, nämlich den müde lächelnden, aber ſelbſtbewußten Herrſcher.

Kitschi (der fleine) Bairam, nämli< jener nah dem Faſtenmonat Ramazan, dauert drei Tage. Tagsüber wird ſehr viel Pulver verſchoſſen, denn ſowohl Vor- als Nachmittags erdröhnen unabläſſig Geſchübſalven; an den öffentlihen Beluſtigungs8orten vernimmt man Muſik in einem wirren Chaos von Tönen; Aufſager durchziehen das Franken - (Fremden-) Duartier und tragen Balladen, Heldengedichte u. dgl. vor; in den einfamen Gaſſen Peras, der Vorſtadt Conſtantinopels, ertönt die einförmige Weiſe der türkiſchen Flötenſpieler mit ihrem eher melancholiſ<h als luſtig ſtimmenden Vortrage. Nicht weniger monoton als die Melodie iſ} der Text dieſer Lieder, welcher ſih faſt immer um den gleichen religiöſen Stoßſeufzer dreht. Ueberhaupt iſt bei den Türken das Hauptgebot der Frömmigkeit, die Sittlichkeit, beiweitem mehr ausgeprägt als heim Abendländer; der Türke ergiebt ſich weder ausſhweifenden Gedanken, noh drü>t er in ſeinen Geſängen ſinnlich-über\ſ<hwengli<he Wünſche aus. Eine fernere Wohlthat bei ſolchen Feſten iſt, daß dem Türken der Koran das Weintrinken verbietet; demzufolge ſind jene Exceſſe, die ſo häufig den Schlußſtein der criſt-

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lichen Kirchweihfeſte bilden, dort eine vollkommen unbekannte Sache. Deshalb verhält ſi< das feſtlich gekleidete Volk auf dem Plate vor dem Serasfierat (Wohnung des türkiſhen Krieg8miniſters) in den verſchiedenen Gruppen mit heiterer Ruhe auf- und abwandelnd, beſucht anſtändig die Berfans (Zeugläden) und Bazars (Kaufhallen) und naſcht das dem Türken ſo unentbehrlih ſcheinende Zu>kerwerk, !

Am -Al-Mejdan (Markt) haben einige feiernde Pferdemiether eine Art Dscherid-Zurnier (Kampfſpiel mit Wurfſpießen) in Scene geſeßt, welchem nationalen Vergnügen ſie ſi<, umringt von gaffenden Zuſchauergruppen, zwanglos ergeben. Das Dſcherid-Spiel iſ eigentli< arabiſchen Urſprungs, es beſteht darin, daß der zuerſt zum Fliehen gebrachte Reiter von deſſen Gegner im größten Pferdelauf verfolgt und mit einem Dſcherid (fkurzem Wurfſtabe) angegriſfen wird, den der Verfolger im geeigneten Momente na<h dem Feinde ſchleudert. Die Geſchicklichkeit der Dſcherid-Werfer, welhe während des ſchnellſten Rittes ihre verlorenen Stäbe vom Boden aufleſen, ſih jählings dur< Herabneigen der gegneriſchen Waffe entziehen und ſonſt ihre Reiterübung an den Tag legen, erſcheint wahrhaft wunderbar.

Freilih wird dieſes edle Spiel nicht ſelten au< zur Carricatur und es tummeln ſih auf dem ſteinigen Boden des alten Hippodroms (Rennbahn) einige zigeunerähnliche Fndividuen mit ihren mageren Gäulen herum, wobei ſie den nächſtbeſten Prügel anſtatt des Dſcherids zum Zweifampfe gebrauchen, welcher dann auh als natürliche Folge in eine tüchtige Prügelei ausartet. Fn früheren Tagen, wo no<h die moslemiſhen Würdenträger, wie im Abendlande die <riſtlihen, auf feſtlihes Gepränge mehr als heute hielten, wo ſie einen bedeutenden Vorrath von Zubehör in Bewegung ſeßten, um dem Gefühle der Gottesverehrung lebhafteren Ausdru> zu geben, damals fand man ſi< auf behördliches Geheiß zu dieſem Turniere ein und mancher ſtolze Moslem verſhmolz es mit ſeiner perſönlichen Ehre, den Gegner im Kampfe unbedingt zu überwinden.

Einſtmals fanden in den Tagen des Bairam au< Kriegsſpiele am Al-Mejdan ſtatt, wobei natürlih die Chriſten eine ſehr demüthige Rolle ſpielten, So beſtand no< zu Ende des vorigen Jahrhunderts die Sitte, ein hölzernes Schloß von Chriſten vertheidigen zu laſſen, während dasſelbe von türkiſchen Dſcherid-Schleuderern angegriffen wurde. Selbſtverſtändli<h muß ten die Chriſten unterliegen und ſobald die Zugbrücke fiel, entſprang der hölzernen - Vertheidigungsburg — ein Rudel Schweine.

Jett iſt es anders geworden; nunmehr ſind die Feſtlichkeiten äußerſt harmlos und es erinnert ſich faum mehr Jemand an den einſtigen rohen Zeitvertreib, welcher die Aufgabe hatte, dem