Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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Das YVairam-Fieeſt in Conſtantinopeſl.

Der Bairam, dieſes religiöſe Hauptfeſt der Türken am Ende der Faſtenzeit, der türkiſche Carneval, beginnt na<h den ſtrengen rituellen Uebungen des Faſtenmonats Ramazan (der neunte Monat im arabiſchen Kalender) mit dem Neumond des Monates Schawal (zehnter Monat). Es ſind neunundzwanzig ſ{hwere, der ſtrengſten Enthaltſamkeit und dem Gebete gewidmete Tage vorübergegangen, wenn die von der Höhe von Topdſchi Kiſchlaſſi über die Rieſenſtadt Conſtantinopel und über die Dörfer des Bosporus hinwegdröhnenden Kanonenſalven den Gläubigen verkünden, daß ihre Entbehrungen geendet haben und ſie ſi< wieder ungenirt ihres Lebens freuen dürfen.

Die Moslems ſehen mit Aufregung und Spannung dem langerſehnten Monatswechſel entgegen ; zuweilen {webt no< die düſter leuchtende Sonne über den Rü>en von DaudPaſcha-Kiſchla, hintèr deſſen rundlicher Geſtalt fie gewöhnlich unterzugehen pflegt, wenn das aſtronomiſche Obſervatorium den Rapport erſtattet, es erhebe ſih oſtwärts der neue Mond des Schawal. Die erſten Kanonenſalyven erdröhnen dann, wel<hen die Bospor-Batterien antworten, auf der türkiſchen Flotte ſteigt flatterud der bunte Shmu> der Flaggen hinan. Wie innerli<h auh der Orientale ſeiner ganzen Natur nach iſt, fühlt er do< zeitweilig das Bedürfniß, die vom Koran geheiligten Augenbli>e au< na< Außen zu verkünden, und ſo zeigen ſih alsbald die feſtlihen Kundgebungen.

Auf den Knaufen und Terraſſen erglimmen die färbigen Ampelu, die dunkle Waſſerfläche des Bosporus iſt von tauſend purpurnen Flammen umſäumt und beſäet, von zahlloſen Kaiks (GaleerenScaluppen) getragen; auh die Straßen Peras und Galatas zieren Leuchtballons und flatiernde rothe Fahnen mit dem ſilbernen Halbmond und dem Sterne. Tritt dann völlig die Nacht ein, ſo ſhweigen die übertriebenen lauten Freudenausbrüche, das Volk ergießt ſich, in feſtlihe Gewänder gehüllt, in die Straßen und bli>t verahtend auf den ſi unter ſie miſchenden Giaur, den dieſer Ehrentag doh nichts angeht.

Der Meslem hat eben das Charakteriſtiſche an ſi, daß er dem <riſtlihen Fremden ſeine Verachtung nie ganz zu verhehlen im Stande iſt, ſelbſt wenn er mit ihm unabläſſig verkehrt oder gar von ihm abhängig iſt. Aeußerli<h zugethan und von beſtehender Lieben8würdigkeit — dieſe letztere iſt überhaupt dem Türken angeboren — birgt ſein Funeres doh ſtets den traditionellen Haß, der bei etwaigen Meinungsverſchiedenheiten anſtandslos ſofort offen an den Tag tritt. Es bedarf daher bei der ottomaniſchen Bevölkerung

ſehr oft nur eines böswilligen Rädelsführers, um binnen wenigen Minuten ſelbſt die trägſten Elemente in Feuer und Flammen zu verſehen, Alles von Unten na< Oben zu kehren; ſie fügten ſich ſtets in den Verkehr mit den“ Fremden, nahmen deren Geld und Wohlthaten an, aber geriethen auh in die wildeſte Aufregung gegen ſie, wenn zufälligerweiſe irgend ein Ereigniß die Urſache hierzu abgab. So zur Zeit des Reformers Sultan Mah mudIl[., fo no< unter Abdul Med\<id, und ſie würden es auch heute no< ſo machen. Was war das z. B. für eine aufgeregte Stimmung in Stambul, als der Padiſhah nah \{<heinbarer Bezwingung Montenegros die Abſicht hegte, nun den Dschihad (Glaubensfrieg) gegen das ganze Abendland zu führen, eine Narrheit, welhe Großvezier Fuad Paſcha (geſt. 1869) noch glücklicherweiſe zur "re<ten Zeit unſhädli<h zu machen wußte.

Am erſten Tage des Bairam herrſcht in der Türkenſtadt große Aufregung. Der Padiſhah verläßt in aller Früh ſein Schloß am Bosporus und reitet, begleitet von einem glänzenden Gefolge, zuerſt na< dem alten Serail an der Stambuler Landzunge ; darauf nah einer der Kaiſermoſcheen (gewöhnlih na< der Achmedigeh) und verrichtet dort ſein Gebet. Freilih hat dieſer Gala-Ritt ſeit der Abſchaffung der hiſtoriſchen Koſtüme viel von ſeiner früheren Eigenart verloren, denn man ſieht keine glänzenden Kaftans (Oberkleider) oder Maſchlahs mehr, keine Turbans mit Fuwelen und ni>enden Reiherfedern geſ{<müd>t, feine blendende Waffenzier aus alter Zeit; höchſtens verräth noch die verſhwenderiſ< mit Gold, Treſſen u. #. w. überſäcte Uniform, daß der „König der Könige“ an den Staunenden vorüberreitet. Es hat auh der Zug der Haremsfrauen viel Moderneres an ſi<. Der Kamtſchy (Art Schä>el) des mitreitenden Kawaſſen (türfiſhen Gendarmen) wird niht mehr bei den müſſigen Gaffern in Anwendung gebracht, man läßt dieſe auf Schrittlänge an die Caroſſen herandrängen, welche die Sultans-Frauen bergen. Kokett ſind dieſe Letzteren wie die Europäerinnen; ſie tragen Schleier aus feinſtem Gewebe, ungemein zart und durchſichtig, ſie lächeln aus ihrem „Käfig“ hervor und legen die weiße ſ{<immernde Hand zeitweilig auf das Wagenfenſter.

Am erſten Bairam-Tage halten den ganzen Vormittag zahlreihe Gruppen von einheimiſchen und fremden Neugierigen die Pläße und Straßen beſeßt, über wel<he der Padiſhah mit ſeinem Stabe na<h der Kaiſermoſchee geritten. Die Effendaſſis (Bürgermeiſter) laſſen an dieſem Tage die Route zollho<h mit feinem Sande beſtreuen,