Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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Es galt daher als ein günſtiges Zeichen, daß die Pforte den ehemaligen Botſchafter in Paris, Ali Paſcha, zum Gouverneur der Herzegowina ernannte. Derſelbe war bereits vor mehreren Jahren kaiſerliher Commiſſär in Bosnien und fannte ſomit niht nur das Land, zu deſſen Verwaltung er berufen wurde, ſondern auh die Bedürfniſſe der chriſtlichen Bevölkerung jenes Theiles des Reiches, Er war endli<h als ein außerordentlih entgegenkommender, freundliher Mann bekannt, ſo daß es ihm niht ſ{<hwer fallen konnte, Vertrauen zu erwe>en. Reouf Paſcha wurde hingegen zum Gouverneur von Kreta ernannt, welchen Poſten er au ſhon, und zwar zur größten Zufriedenheit der Kretenſer, bekleidet hatte, ſo daß dieſe bei ſeinem Abgehen Bittgeſuche unterzeihneten, um die Hohe Pforte um ſeine Beibehaltung zu bitten. Die Entſendung dieſes Mannes nah Kreta hatte ſi inſofern als eine dringende Nothwendigkeit herausgeſtellt, als es dem engliſchen Conſul in Canea gelang, eine Partei zu bilden, welche forderte, die Fnſel möge unter engliſche Schußzherrſchaft geſtellt werden, da England bereits ſhon früher ſein Augenmerk auf Kreta gerichtet hatte, um den ‘Canal von Suez vollſtändig beherrſchen -zu können.

Der engliſchen Partei ſtand jedo< die viel ſtärkere griehiſhe Partei gegenüber, welche die Anhängung an Griechenland wünſchte. Die Kretenſer ſagten: „Kreta hat für die grie<iſ{<e Unabhängigkeit gekämpft und es wäre alſo unbillig, jeßt den britiſhen Schuß zu verlangen, nachdem England vor wenigen Jahren ſelbſt den Anſchluß der Foniſchen Fnſeln an das Mutterland veranlaßt hat.“ Das Centrum der griehiſ<en Bewegung war Athen. Da es dex Griechenpartei bereits gelungen war, an einigen Orten Unruhen hervorzurufen , ſo hatte die Regierung - den einzigen Mann, der es verſtanden hatte, die Sympathien der Kretenſer zu gewinnen, hingeſchickt.

Zugleich erhielt Mukhtar Paſcha, der türkiſhe General en chef in der Herzegowina, ganz beſtimmt auseinandergeſeßte Verhaltungsbefehle in Betreff einer etwa nöthigen Beſezung Mont enegros. Der neue Obercommandant traf am 8. Fanuax in Moſtar ein.

Jm Rathe der Pforte war ein neuer „Plan“ entworfen worden, die volle friedliche Beil egung der Unruhen durhzuführen. Man hoffte eine längere Waffenruhe zu erzielen, da die Jnſurgenten, na< den lebten erlittenen {weren Unfällen, dieſe do< ſelb dringend zu benöthigen ſchienen. Es wurden daher an Mukhtar Paſcha die beſtimmten Weiſungen ertheilt, alle Angriff 8Operationen gegen die Fnſurgenten einſtweilen aufzuſchieben, dagegen alle wichtigen Stellen der ganzen Grenze gegen-Montenegro entlang ſtark zu beſetzen.

Dieſe Beſtimmungen hatten einen politiſchen Hintergrund. Die Pforte wollte nämli< noh einen leßten Verſu<h machen, Montenegro auf friedlihem Wege zur Einhaltung der Neutralität zu zwingen, Sie wollte dur<h ſtarke Beſezung aller ſtrategiſhen Punkte an der montenegriniſhen Grenze gewiſſermaßen eine Sicherheits-Wehrlinie gegen die ewigen Juſurgenten - Zuzüge bilden. Dieſe Maßnahmen gegen Montenegro ſtanden aber im engſten Zuſammenhange mit der Friedensſcließungs-Politik, welche der in Moſtar erwartete neue GeneralGouverneur Ali Paſcha feierli< einzuſeben den Auftrag hatte.

Ali Paſcha ſollte alshald nah Antritt ſeiner Functionen eine Art Notablen- (vornehmſte Reichsſtände-) Verſammlung nah Moſtar einberufen. Um dies zu erleichtern, ſollte eben die militäriſche Abwehr der Fnſurrection zeitweilig eingeſtellt werden. Die einberufene Verſammlung ſollte die ſämmtlichen Beſchwerden der Herzegowina in einem direct an den Sultan zu richtenden Actenſtü>e zuſammenfaſſen. Der Sultan wollte dann alle gere<ten Beſchwerden berüſi<tigen, namentlich aber die Steuerlaſt verringern und eine gere<tere Vertheilung der Steuern anordnen. ‘Ali Paſcha ſelbſt hatte den Auftrag, ſi mit einem conseil permanent (beſtändigen Rathsverſammlung) von etwa zwanzig eingeborenen Bornehmen zur eigenen Unterſtüßung, Berathung und Vermittlung zu umgeben. Die aufſtändiſchen Diſtricte ſollten von der Gnade des Sultans beſonders berü>ſi<tigt werden. Namentlich wollte er den durc die Ereigniſſe um ihr Hab und Gut gekommenen Familien einen dreißigpercentigen Erſaß des erlittenen Schadens bewilligen.

Als Boreinleitung dieſer Miſſion Ali Paſchas durfte die, über Befehl aus Conſtantinopel erfolgte Entſendung des Kadi (Friedensrihter) von Moſtar, Juſſuf Effendi, in das Junere des Vilajets betrahtet werden, wel<her im Sinne der A li Paſcha ertheilten Aufträge bei der Bevölkerung vorbereitend wirken, wie überhaupt der neuen Friedensſtiftungs-Politik die Wege ebnen ſollte. Thatſächlih hatte Fuſſuf Effendi ſeine Rundreiſe im Lande angetreten und verſpra<h überall, wo er auf zerſtörte und. verbrannte Dörfer traf, den Wiederaufbau derſelben aus Privatmitteln des Sultans.

Während die Pforte alle möglihen Anſtrengungen machte, jede Einmiſchung fremder Mächte dadurch zu verhindern, indem ſie auf ihre eigenen, freiwillig eingeführten Reformen hinzuweiſen im Stande war, bildete die Note des Grafen Andra y, troß des Geheimniſſes, das ſie noh umgab, den Mittelpunkt der diplomatiſchen Action. Nachdem dieſelbe in Petersburg und Berlin gutgeheißen worden war, hatten ſi< Jtalien und Frankreich entſchloſſen, die Vorſchläge, welche das