Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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gehrten die Griehen ſtürmiſ<h von Fguatieff die Erfüllung ſeiner Verheißungen; er aber zu>te die Achſeln, lächelte, maskirte ſeine Verlegenheit hinter der Larve kühlen Hochmuthes, denn was hätte Rußland für Kretas Befreiung thun fönnen, nachdem alle übrigen europäiſhen Mächte ſeinen Verbleib bei der Pfortenherrſchaft begehrten?

Die Sympathien der Griechen waren alſo verſherzt; nun galt es, diejenigen der Bulgaren ſih zu erhalten, und da dieſe Leßteren neuerdings um die Unabhängigkeit ihrer Kirche von dem griechiſchen Patriarchat in den Kampf traten, \o hielt es für den General Fg natieff niht ſ{<wer, ſih ihnen als Helfersmann anzubieten. Da begegnete er dem freili<h unverhehlten Mißtrauen, denn man fürchtete die ſeltſame Art von Freundſchaft, die er den Griechen bewieſen hatte. Juzwiſchen war jedo< Ali Paſcha geſtorben und der Ruſſen-Söldling Mahmud Paſha in das Vezierat eingezogen. So ſpielte denn Jg natief f wieder im Sultanpalaſte von Dolma-Bagdſche die erſte Violine. Die Unabhängigkeit der bulgariſchen Kirche von dem Patriarchat ward ſtaatlih anerfannt und die Wahl eines bulgariſchen Exarchen (Ober-Erzbiſchof, Art Papſt) genehmigt. Anſheinend war hier ein hohes Spiel gewonnen, bei welchem freili<h Fgnatieff's, dur< cine Heirat mit der Fürſtin Galiß yn, geſhwellter Geldbeutel in große Mitleidenſchaft gezogen worden. Mehr noh, der feige Mah mud fiel täglich tiefer in die ‘Neve des {lauen Ruſſen, ließ ſi< auch von demſelben den Gedanken der ThronfolgeAenderung einhauchen, ein an ſi re<t vernünftiger Gedanke, aber blos geeignet, die Chancen Rußlands in Stambul zu vermehren, weil ſeine Verwirklichung unfehlbar eine Löſung aller geſell\haftlihen und politiſhen Bande, die das Ottomaniſche Reih no< zuſammenhielten, herbeiführen hätte müſſen.

Da ſtürzte Mahmud und wurde von dem feinen Midhat Paſcha zuerſt und dann von dem beſonnenen Mehemed Ruſh di abgelöſt, in welcher Zwiſchenzeit von Neuem der bulgariſche Bortheil verloren ging und die ruſſiſche Vorſehung zu Byzanz neue S<hlappen erlitt. Jedenfalls ſtand ſhon damals (1872) feſt, daß Fürſt Gortſchakoff die Rivalität des Botſchafters am Goldenen Horn nicht mehr zu fürchten brauchte. Wohl hatte im Jahre 1867 ganz Rußland den General Fgnatie ff offen als leitenden Miniſter begehrt, es war jedo<h ſeitdem wiederholt und gewaltig ernüchtert worden, ja verlangte mehrmals ſogar die Abberufung des Botſchafters von ſeiner wichtigen Stelle.

Indeſſen, jede Jntrigue hat das Glü> an ihrer Seite, bis die Kataſtrophe hereinbricht. Mahmud ward wieder Großvezier und Jg n atieff ſtri< von Neuem die Geige in Byzanz; ja es ſchien ſogar, als ob der Czar den angeb-

lihen Schlüſſel ſeines Hauſes — das lo>ende Conſtantinopel — beinahe ſhon in ſeiner Taſche hätte; verrichtete doh Abdul Aziz ruſſiſche Arbeit, indem er dur< ſeine wahnſinnige Verſ{hwendung und dur< die namenloſe Willkür ſeines Regimentes alle Exiſtenzbedingungen des Pfortenreiches - auflo>erte. Fgnatieff. ſtolzirte triumphirend einher, leitete mit verſtärkter Geſchäftigkeit den moskowitiſhen Goldregen unter die ſlaviſchen Chriſten der Türkei, war heute nationaler, morgen religiöſer Beſchüßer der armen Rajahs und zuleßt zeigte der Gang des Aufſtandes, welcher im Funi 1875 in den Schluchten der Herzegowina ſeinen Anfang nahm, der Türkei eine ſehr heucleriſhe Außenſeite. Fgnatieff hoffte, daß es niht ſo lange dauern föónne, bis er ſeinem fkaiſerlihen Gebieter zu melden im Stande war: „Majeſtät, die Türkei liegt zu Jhren Füßen !“

Um jene Zeit ging der Vertreter: des Czaren gar weit in ſeinen Plänen; es ſagte ihm zu, au< in beſtimmter Richtung ſih zu verſuchen. Er ſte>te ih ein weiteres, zweifaches Ziel: erſtens an der Untergrabung und womöglich gänzlichen Sprengung des freilih ſehr morſhen Gebäudes des ſultaniſchen Staates zu arbeiten und ſodann für den Panſlavismus (All-Slaventhum) oder rihtiger Panruſſismus (All-Ruſſenthum) ein günſtiges Terrain vorzubereiten. Daß Jgnatieff auf der ganzen Linie ſeiner ſehr weitverzweigten Thätigkeit Erfolge aufzuweiſen hatte, ging auf ſehr einfahe Weiſe zu.

Er war vor Allem der „beſte Freund“ des Sultans, der Türkei und aller guten unverfälſchten Alttürken. Dieſer Leute Jdeal war ein auf mohammedaniſch-prieſterherrſhaftliher Grundlage aufgebautes ODttomaniſches Reich, und für dieſes ſhwärmte der ruſſiſhe Botſchafter auh. Ein Türke von e<tem Schrot und Korn verabſcheut Alles, was Reform heißt, ganz außerordentlich, wel<hem Abſcheu der General ebenfalls den kräftigſten Ausdru> gab. Fazil Paſcha, der franzüſelnde Fungtürke, der eine neue Schule gegründet und von Gleichberehtigung aller Nationalitäten und Religionen im Sultanreiche zu träumen wagte, wurde von den Mullas, Ulemas, Paſchas und dem geſammten Hofe mit unerbittlihem Haſſe verfolgt; auh Fgnatieff nahm, als echter Freund der Namiks und Sultanin-Validés, ohne Zögern eine ausgeſprochene feindſelige Stellung ihm gegenüber ein. Sultan Abdul Aziz wurde von einer „großen Jdee“ erleuchtet: ex wollte die dur< religiöſe Grundſäte geheiligte, durh Jahrhunderte ehrwürdig gewordene ThronfolgeOrdnung im Hauſe Osman umſtürzen, den berehtigten Erben Murad Effendi ſeines wohlbegründeten Rechtes entkleiden und dafür den

‘eigenen erſtgeborenen Sohn JFzzedin Effendi

zum Thronfolger erklären; der Botſchafter des

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