Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
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Czaxen theilte zwar die Meinung aller Welt, daß dieſe Revolution von Oben eine in ihren Folgen unabſehbare Revolution na< Unten erzeugen fönnte, ja daß die „große“ Fdee des Großherrn unfehlbar den Gnadenſtoß dem Reiche geben werde, . aber, was ſollte er thun? Aus purer innigſter Freundſchaft für den Sultan konnte er dieſem ſeine Unterſtüßung niht verſagen und ſo freute ſih_ der türkiſhe Kaiſer wonnigli<h, in dem Vertreter einer hervorragenden Macht einen Fürſpreher und Förderer ſeiu4s Liebling8gedankens zu ſehen. Daß dadurch der Einfluß der Generals im „Salamli>“ wie „Harem“ des Padiſchah eine neue, anſehnliche Steigerung erfuhr,- war ſelbſtverſtändlich ; wer konnte ſo viele rührende Beweiſe aufrichtiger Liebe unvergolten laſſen ?
__ Und der Born dieſer Beweiſe war noh nicht erſ<höpft. :
Es fam eines ſ{önen Tages im Jahre 1374 der junge Fürſt Milan von Serbien nah “Stambul, um die „Schi>klichkeitsviſite“ dem Suzerain abzuſtatten. Marin owit \<, des Fürſten erſter Miniſter, entwi>elte bei dieſer Gelegenheit alle ſeine Geſchi>lichkeit, um die alte „ZwornikFrage“ in Ordnung zu bringen.
Es hatte nämlich die türkiſche Feſtung Zwornik am linfen Drina-Ufer, mit dem zu ihr gehörigen Territorium von Schakar oder MaliZwornik auf ſerbiſhem Gebiete, ſhon lange vor Beginn der Feindſeligkeiten von ſi<h reden gemacht, da es ein fortwährend ſtrittiges Gebiet abgab. Klein-Zwornik auf ſerbiſchem Gebiete bildet eigentli< nur den Brückenkopf zu der alten, nicht beſonders gut erhaltenen Feſtung Groß-Zwornik. Die Werke der leßteren überbli>t man am Beſten vom Sattel des Bratolowaz-Berges im Weſten der Stadt. Es ſind alte, zinnenartige Mauern, welche bis hart an die Drina treten, die hier des öfteren von ſteilen Felſenabhängen beſäumt wird. Jn Klein-Zwornik befinden ſi< nur einzelne Erdwerke und mehrere Karauls oder Wachpoſten. Der Verkehr beider Ufer-Ortſchaften wird dur eine Fähre vermittelt. Db Zw ornik einen thatſächlichen ſtrategiſhen Werth hat, iſt mannigfaltig bezweifelt worden, obgleih man niht leugnen fann, daß eine ſtarke Beſatzung in dieſem, immerhin gegen mangelhaft organiſirte ſerbiſche Abtheilungen vertheidigungsfähigen Orte, überraſchende Angriffe von der mittleren Drina gegen das Junere Bosniens entſchieden hintanzuhalten vermöte. Jm Jahre 1681 hatte die Veſte der kaiſerliche Feldmarſchall Markgraf Ludwig von Baden mit Sturm genommen, mußte ſie jedoh bereits im nächſten Jahre wieder den Türken überlaſſen.
Die weſtmächtli<hen Diplomaten in Pera (Geſandten-Viertel Conſtantinopels) gaben ihrer Anſicht Ausdru>, daß die Pforte daran wohl thun würde, das haſbverfallene Schloß Klein-
Sultan für ſeinen Harem verlangte, und es war
Zworuik und das türkiſhe Dorf Sakar an Serbien abzutreten; um dieſen Spottpreis den Vafallen zuſriedenzuſtellen, erſhien Jedermann als ein für die Pforte vortheilhafter Handel. Raſchid Paſcha, der au<h damals ſultaniſher Miniſter des Aus8wärtigen war, ging auf die ſerbiſche Anforderung ein und bereitete für ſeinen erhabenen Herrn das betreffende Referat vor. „Zufälligerweiſe“ jedoch beſu<hte Fgnatieff den Sultan, und ganz „zufällig“ wurde die- Zwornik-Frage berührt. Der Großherr, ohnehin kein großer Freund des Gebens, verrieth keine Luſt, ein Zugeſtändniß zu gewähren und — durch die bekannte Verbindung der Fdeen zwiſhen dem Sultan und den Ruſſen bewogen — räth auh der General dem Sultan davon ah. Ohrenowitſh der Vierte reiſte ſehr verſtimmt von Conſtantinopel ab und in Serbien fand die Actions-Jdee ſeit damals viele Anhänger.
Ganz ähulihe uneigennüßige Liebesdienſte erwies der Botſchafter Rußlands der Pforte eine hübſche Anzahl und auf dieſe Weiſe gelang es dem geſchi>ten General, ſeine geheimſten Herzenswünſche: „den Kranken no< kranker zu machen“ und den rufſiſhen Einfluß im Oriente aufzurihten, in Erfüllung gehen zu ſehen. Denn auh die Chriſten im Oriente, die Vaſallenſtaaten nicht ausgenommen, gehor<hten den ruſſiſhen Winken — war doch der ruſſiſhe Geſandte im Stande, für ſie etwas zu thun! Das Feld für die Thätigfeit eines ſo {lauen Diplomaten war derartigen Jntriguen beſonders günſtig, umſomehr als die Zuſtände in der Türkei, die Lage und Stimmung des Großherrn und der Hohen Pforte tägli<h troſt- und aus\{tsloſer erſchienen.
Die beiden Pforten-Commiſſäre für Bosnien und die Herzegowina, welche mit der Ausführung der vom Grafen Andraſf y vorgeſhlagenen Reformen betraut geweſen, waren bereits ſeit mehr als vierzehn Tagen ernannt und no< immer niht an ihren Beſtimmungsort abgereiſt. Der Grund der Verzögerung war in dem Umſtande zu ſuchen, daß man dieſen hohen Functionären einige Mittel zur Verfügung ſtellen wollte, dieſes aber bei dergänzlihenLeere desStaats3\<haßes bis nun unmögli<h war; alles Drängen des Grafen Zichy auf die ſ<hleunige Abreiſe des Waſſa Effendi und Haidar Effendi, damit die Wirkung der Annahme der Andraſſy’ ſchen Vorſchläge niht abgeſhwäht werde, half nichts ; Gold war keines vorhanden und die Börſenmänner in Galata, jenem von den Genueſern angelegten Stadttheile Conſtantinopels, welcher der Hauptſiß des Handels iſt, hielten - ihre Geldbeutel feſter als je zuſammengeſ<hnürt. Dieſer Zuſtand wurde no< dadur< verſchlimmert, daß, ohne Rückſicht auf die verzweifelte Finanzlage des Landes, der fortwährend große Summen