Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

aber gab es genug Beweiſe dafür, daß die Geiſtesrihtung der jungen Welt in Rußland eine völlig hoffnungsloſe war. So fand ſih das befannte Slaven-Comité in leßter Zeit bewogen, die Lehrkräfte für die ruſſiſhen Mittelſchulen, die durch ſeine Vermittelung aus der Mitte der ausländiſhen Slaven herangezogen wurden, nicht mehr den Vorbereitungscurs an dem hiſtoriſchphilologiſhen Fnſtitut in Petersburg machen zu laſſen, weil ſie da dur<h den Umgang mit der jungen ruſſiſhen Welt verdorben werden könnten. Es wurde deshalb zu dieſem Zwe>ke ein ſolhes ruſſiſches Jnſtitut in Leipzig mit großen Koſten errichtet, von wo die genannten Ausländer unmittelbar auf ihre Poſten in der Provinz gechi>t werden, damit ſie den bös8artigen Gährſtoff aus der ruſſiſhen Hauptſtadt niht dahin mitbringen können.

Man {lug Verſchiedenes vor gegen dieſe allgemeine Zerrüttung, welche die ruſſiſche Geſellſchaft und in zweiter Linie au<h den Staat bedroht; unter Anderem — die Einführung des Parlamentarismus. Zu dieſer Maßregel fonnten \ſi< jedo< die in Petersburg maßgebenden Kreiſe nie entſchließen, da ſie beſorgten, dadur< erſt re<t den anarchiſhen Beſtrebungen Thür und Thor zu öffnen.

Sehr erſhwert wurde die Situation noh dadur, daß fi<h au< die polniſhe Propaganda wieder rührte, nachdem die in leßter Zeit unternommenen rufſiſch - polniſhen Ausgleihsverſuche, die von maßgebenden Petersburger Kreiſen hbegünſtigt waren, ih zerſchlugen. Sie brachte gegen Rußland eine Waffe in Anwendung, die das Czarenreih unter Umſtänden in der empfindlichſten Weiſe treffen könnte: fie förderte und unterſtützte die Beſtrebungen der „Ukrainophilen“, welche auf die Losreißung des mehr als fünfzehn Millionen zählenden kleinruſſiſhen Volkes von dem herrſchenden Gro ßruſſenthum hinauslaufen. Und die Bewegung ergriff bereits Kreiſe, die man ſonſt für gut ruſſiſ< zu halten pflegte, und es war nicht abzuſehen, wohin dieſelbe ſ{hließli< führen könnte.

Dieſen Nachrichten ſette die ruſſiſche Negierung vorerſt folgendes telegraphiſhe Dementi entgegen :

„Petersburg, 18. November. Die Nachrihten einzelner deutſher Zeitungen von einer hier entde>ten Verſhwörung und von maſſenhaften Verhaftungen ſind, ſiherem Vernehmen nah, dur<haus grundlos. Weder wurden einflußreihe Perſonen verhaftet, noch fanden größere Vermögens-Sequeſtrirungen ſtatt. Betreffs der angeblihen Unterſuhungs-Commiſſion in jener Angelegenheit liegt wahrſcheinlih eine Verwechslung mit der Disciplinar-Commiſſion zur Unterſuchung der unruhigen Auſtritte an der mediciniſ<hen Akademie und an dem te<hnologi-

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ſchen Jnſtitute vor. Die Nachricht, daß die ruſſiſche Regierung von Khiwa erſucht wurde, dem Khan gegen den Aufſtand ſeiner Unterthanen zu Hilfe zu kommen, iſ gänzlich erfunden.“

Dieſes Telegramm war in einer ziemli<h unglüli<hen Stunde abgefaßt, denn es beſtätigte im Grunde Alles, was behauptet worden war. Es ſtellte zwar das Vorhandenſein einer UnterſuchungsCommiſſion in Abrede, um jedo< in demſelben Athem zuzugeſtehen, daß allerdings eine Disciplinar- Unterſuchungs - Commiſſion gegenwärtig functionirte wegen der unruhigen Auftritte an der mediciniſ<hen Akademie und an dem techniſchen Fnſtitute. Dieſe Auftritte mußten doh ein Motiv gehabt haben, wenn man eigens eine Unterſuchung ihretwegen anſtellte. Fm Uebrigen wußte auch die engliſche Preſſe ein Lied von jenen Vorgängen .zu fingen und es wurde berichtet :

Nicht weniger als dreitauſend Perſonen, darunter viele Damen, find bereits aus Anlaß einer in Rußland entde>ten Verſhwörung verhaftet worden. Täglich werden noh in Folge der außerordentlihen Thätigkeit des neuen Directors der Geheimpolizei weitere Arreſtationen vorgenommen. — Eine Commiſſion wurde eingeſetzt, welche den eigentlichen Zielen und dem Charakter der Conſpiration, die bisher noh immer unbekannt (!) find, na<hforſchen ſoll. Fedoh haben viele von den dazu ernannten Mitgliedern ihre Mitwirkung abgelehnt und empfingen deshalb ſharfe Zurehtweiſungen. Dem Vernehmen nah ſind bereits Spuren aufgefunden worden, wonach mehrere ho<ſtehende Perſonen in das Complot verwi>elt wären und den Verſchwörern bedeutende Geldmittel zu Gebote ſtanden. Jn einigen Theilen des Landes, ſo heiſpielsweiſe in Seusk, ſind die Verhaftungen #o zahlreih geweſen, daß eine förmlihe Schre>ensherrſchaſt platgegriffen hat.

Es iſt — ſ\o heißt es ſ{hließli<h — thatſächlich der Vorſchlag gemacht worden, daß die Polizei im Laufe einer ſ{<önen Nacht eine Dur hſu<hung injedemHauſevonPetersburg vornehmen ſolle!

Nun dazu würde denn doh die geſammte Polizei und das Militär niht ausgereiht haben.

Genauere Details no< über das Beſtehen der abgeleugneten Verſhwörung brachte man in Deutſchland.

Der erſte Anhalt — {rieb man — zur Entde>ung der Verſchwörung wurde im verfloſſenen Sommer in der Kreisſtadt Familow, des Gouvernements Jaroslaw, gefunden. Fn dieſer Kreisſtadt hielt ſi< ein Edelmann Piſſareff, der in dieſem Kreiſe begütert iſt, auf, und hatte eine Volks\chule errichtet, in der er für ſeine regierungsfeindlihen, ſocial-demokratiſ<en Fdeen Propaganda machte. Ein Schüler dieſer Schule,