Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

nur, daß die Staatsausgaben in der neuen Aera auh in Serbien, wie anderwärts, in Steigerung begriffen ſind. Der Fürſt verhieß viele Borlagen und ſtellte es der Skupſchtina anheim, zu ermeſſen, ob es niht gut und nüßli<h wäre, die Verfaſſung in liberalem Sinne zu ändern. Die Thronrede wurde mit Begeiſterung auf-

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genommen. Das neue Miniſterium wurde in folgender Weiſe gebildet : Zumit\< Präſident und «Fnneres ; Pirotſhara $ Aeußeres; Michalovic Finanzen; GaraſchaninCommunicationen ; Bogitſ<hewit#\< Juſtiz; Protit\< Krieg und Novakowit \< Cultus. Die Principien des neuen Cabinetes lauteten: „Liberal und reformatoriſh“.

Eine VYerſ<hwörung in Petersburg.

Jm Funern des „Koloſſes mit den thönernen Füßen“, wie ein geflügeltes Wort Rußland nannte, ſah es lange niht ſo befriedigend aus, als man von Petersburg aus die Welt glauben machen wollte.

Schon Mitte November drangen Nachrichten von der Entde>ung einer dur< ganz Rußland verbreiteten Verſhwörung nah dem übrigen Europa, und ſo emſig man in Petersburg auh die Dementirungsmaſchine in Bewegung ſette, ſo gelang es dennoch nicht, die in die Oeffentlichkeit dringenden Nachrichten zu entkräften.

Es ſollten die großen, von Kaiſer Alexander dem Zweiten geplanten und theilweiſe ſhon ausgeſührten Reformen dem Lande jene Feſtigung verleihen, die ihm, wie man wohl fühlte, no< immer gebra<h. Aber gerade mit dieſen Reformen fing das eigentli<he Verderben erſt an. War doch die junge Generation, für die ſie vorzug8weiſe beſtimmt waren, ihnen weit vorangeeilt und gerieth auf Abwege; ſie hatte, ihre excentriſhen Ziele verfolgend, kein JFntereſſe daran, zu verhindern, daß dieſer oder jener Anlauf zum Beſſerwerden wegen der Fndolenz der Maſſen reſultatlos blieb. Dazu kam der Mangel jeglichen Verkehrs der Fntelligenz mit dem gemeinen Manne, um den ſih dieſe nur dann bekümmerte, wenn es ſih darum handelte, ihn für die ſocialiſtiſche Propaganda zu gewinnen,

Es wurde geklagt, daß die neue Reform des Wehrſyſtems in Rußland fi< den ruſſiſchen Eigenthümlichkeiten niht werde anpaſſen laſſen; daß dies Syſtem einen derart compendiöſen und umfaſſenden Apparat erfordere, welcher, ſelbſt in Thätigkeit geſebt, niht zu dirigiren ſei und im entſcheidenden Momente verſagen werde, wodur< die Schlagfertigkeit Rußlands auf Decennien hinaus in Frage geſtellt bleibe. Es ſei zudem die Armee demoraliſirt und man könne niht mehr mit Zuverſicht auf ſie re<nen, wenn man ihrer heute oder morgen gegen einen revolutionären Putſch bedürfe. Das habe das demokratiſhe Element verſchuldet, welches der Krieg8miniſter Miljutin eben jeßt in die Armee eingeführt; ſängen doh

die Soldaten ſogar gern die verbotenen Lieder, die ihnen die ſocialiſtiſhen Agenten zuſte>ten.

Nicht minder wurde über eine zweite Cardinalreform der neuen ruſſiſhen Aera geklagt über die Bauern-Emancipation. Es ſei dieſelbe niht in die rihtigen Bahnen geleitet worden, der demokratiſhe ruſſiſhe Bauer, der ſhon von Haus aus zum Communismus hinneigt, verſtehe niht, ſeine Freiheit mit Maß zu genießen und in ſeiner neuen Stellung zur volkswirthſchaftlihen Entwickelung des Landes beizutragen; er vernachläſſige ſeine Wirthſchaft und leihe gerne das Ohr den Lehren der Bakuniniſten (Anhänger des rufſiſhen Agitators Michael Bafunin, wel<her die Vexbrüderung der Ruſſen und Polen zur Revolutionirung Rußlands anſtrebte, zuleßt 1870 bei den Arbeiterunruhen in Lyon betheiligt), die ihm einen Staat ohne Regierung, ohne Militär und Polizei und ohne Steuern verſprehen, wo der Bauer nah Herzensluſt ſchalten und walten könne.

Am troſtloſeſten jedo<h ſehe es in den Schulen aus, wo die revolutionäre Propaganda der Socialiſten das dankbarſte Feld gefunden habe. Seit den Karakoſo ffs, zu deren Zeiten die erſten Communen entſtanden, und den Netſchajeffs, die den Verſhwörer-Bund „Die Hölle“ gegründet und über das ganze Reich verbreitet haben, bis auf die jüngſt gerihteten D o lguſchin und Genoſſen, ſei die Zahl der der revolutionären Propaganda verfallenen Opfer aus der Mitte der ruſſiſchen ſtudirenden Jugend, \owie der jungen Generation - überhaupt in er\hre>ender Weiſe angewachſen.

Von Warſchau bis zum Amur ſollte ſihder Geheimbund der Verſhwörer erſtre>en und viele Hunderte von Verdächtigen ſollten von der raſtlos thätigen Polizei bereits eingezogen worden ſein, zumeiſt Beamte, Profeſſoren, Lehrer und Kaufleute; man wollte ſogar Helfershelfer der Verſchwörer in den Miniſterien in Petersburg, bei der Staatsanwaltſchaft und Polizei entde>t haben.

Wohl waren dieſe bedenklihen Schilderungen und Klagen zum guten Theile übertrieben, denno<h

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