Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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Zuſammenkünfte der Kaiſer.

Das öſtliche Europa befand ſi< während der erwähnten Vorgänge im Zuſtande ſteter Kriegsbefürchtung, und wenn heute allerſeits in die Welt hinauspoſaunt wurde, der Friede ſei geſichert, ſo ertönten am nächſten Tage Alarmrufe, als ſtünde man an der Schwelle neuer blutiger Kriege.

Da kam die Zuſammenkunft des rufſiſchen und deutſchen Kaiſers in Berlin, welche von ganz Europa als ein Symptom des Friedens, als eine Bürgſchaſt der Erhaltung des Status quo in Europa bezeihnet wurde. Die Begegnung der beiden Kaiſer verbürgte, wenn ſie auh gewiß niht jenen idealen Zuſtand des Weltfriedens herbeiführen ſollte, den die Völker erſehnen und von dem die Dichter träumen, do< eine ausgiebige Verlängerung der Waffenruhe, mit der ſi unſer Welttheil ſhon vier Fahre zufrieden gab. Bon dieſem Standpunkte aus konnte ſelbſt der Argwöhniſcheſte die Entrevue des Czaren und des deutſchen Kaiſers nur mit hoher Genugthuung begrüßen. Europa war militärkrank, es wurde vom Kriegsfieber geſchüttelt, und wer es davon zu curirén unternommen, verdiente wie jeder Arzt Dank und Anerkennung. y

Die Begegnung von Berlin war eine heilſame Medicin für die Kriegsgelüſte aller Orten, nicht nur dadurch, daß ſie überhaupt ſtattfinden ſollte, ſondern durch die Art und Weiſe, wie ſie ſtaltfand, durch die Nebenumſtände, die ſie begleiteten. Wenn die Kaiſer von Deutſchland und Rußland ſih begrüßten und vor der Welt ihrem Wunſche, die Nuhe Europas erhalten zu ſehen, Ausdru> gaben, ſo bildete das ſchon ein Gewicht in der europäiſchen Wagſchale, das ſ<wer gefühlt werden mußte. Wenn aber der gauze Welttheil genöthigt war, ſich zu ſagen, . daß auh dieſe Begegnung nur einen Theil einer großen Action bildete, die niht nur zwei Staaten, die auh Oeſterreich in ſih {loß, ſo mußte wohl Federmann überzeugt ſein, daß man es mit einem Mahtfactor von unwiderſtehücher Gewalt zu thun hatte, einem Machtfactor, der die Geſchicke des Welttheiles entſcheidend beſtimmen und gegen deſſen Ausſpruch keine Appellation an einen Gott der Schlachten vonnöthen wäre.

Hauptſächlih im Anſchluß an das Dre iKaiſer-Bündniß war die politiſche Bedeutung des ruſſiſchen Beſuches in Berlin zu ſuchen, und die (fortdauernde, innere Uebereinſtimmung mit dem Kaiſer von Oeſterreich“ gab ihr eine erhöhtere Bedeutung. Das Bündniß von Rußland, Oeſterrei<h und Deutſchland, das ſeit vier Jahren Europa vor jeder gewaltſamen Veränderung der internationalen Verhältuiſſe bewahrt hat, ſchien feſter als je, und ein ſtaatenerhaltender und frieden-

bewahrender Gedanke ſchien den Welttheil von den Küſten des Weißen Meeres bis an die Ufer der Adria zu durchdringen. Wäre Oeſterreich der Entrevue in Berlin auch geiſtig vollſtändig ferne geblieben und hätte man niht die Gelegenheit ergriffen, um das fort und fort beſtehende herzliche Einverſtändniß der drei Kaiſer zu conſtatiren, ſo wäre es auh nah wie vox den Conjectural-Politikern an der Seine und an der Themſe freigeſtanden, den Schatten einer Coalition heraufzubeſ<hwören, in der Oeſterreih-Ungarn eine Rolle beſchieden geweſen wäre; einer Coalition, deren Zwe> vor Allem darin beſtanden hätte, franzöſiſche Zwe>ke mit europäiſhem Blute und franzöſiſchem Gelde zu fördern. Dieſer Popanz aber war nun begraben, nachdem das vollſtändige Eiuvernehmen, das herzli<he Einverſtändniß der drei Kaiſer abermals in ſo emphatiſher Weiſe von Bexlin aus proclamirt wurde. Dabei durfte man niht überſehen, daß ſeit der Zuſammenkunft in Venedig die Allianz der drei Kaiſer auch jenſeits der Alpen einen Bundesgenoſſen gefunden hatte und daß Ftalien ſeit den denkwürdigen erſten Tagen des April als ein Glied jener friedfertigen Allianzengruppe zu betrachten war, welche die Geſchicke des Welttheiles beherrſ<t.

War die Uebereinſtimmung der drei Kaiſer und des Königs von Jtalien no< immer keine Bürgſchaft für die Erhaltung des Friedens, daun mußte man allerdings am Frieden verzweifeln, denn eine andere gab es niht. Die Franzoſen machten übrigens dem Kaiſer von Rußland nicht weniger den Hof als die Berliner Officiöſen, uud Herr Floquet, der radicale Präſident des Pariſer Municipalrathes, wagte es nicht, ſein Amt anzutreten, bevor Fürſt Orloff nicht verſichert hatte, daß der Czar dadurch niht beleidigt ſei. Damals hieß es: „Wenn die rufſiſhe Armee zwanzig Schlachten gewonnen hätte, ſo könnte die Stellung des ruſſiſhen Reiches in Europa nicht übermächtiger ſein!“ — Oeſterreich hatte keinen Grund, dem ruſſiſchen Cabinet ſeinen Einfluß zu mißgönnen, es konnte ſi< nur freuen, daß die Differenzen und Mißverſtändniſſe langer Jahre vergeſſen und verwunden waren. Der Antagonismus Oeſterrei<hs und Rußländs machte es dem dritten Napoleon möglich, na< Solferino zu marſciren, die Eintracht der beiden Nachbarn, die Allianz der drei Kaiſer aber war eine unüberſteigliche Schranke für jede Politik der Abenteuer.

Der enthuſiaſtiſhe Empfang, welcher dem Kaiſer von Rußland in Berlin ſeitens der Bevölkerung zu Theil geworden, zeigte zur Genüge, wie tief auh dort das Friedensbedürfniß des deutſchen Volkes war. Kaiſer Alexander