Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Aufſtändiſchen wenigſtens günſtige Friedensbedingungen zu - erwirken trachten. Ex wollte die Mächte erſuchen, bei der Pforte ihr gewichtiges Wort für eine milde Behandlung der Rajahs einzulegen. Mehr durfte Milan, wie die Dinge ſtanden, kaum dur<hzuſeßen hoffen. Er begab ſich zuerſt na<h Wien, weil das Schi>kſal des gegenwärtigen Aufſtandes zumeiſt von Deſterreich abhing. Es gab fogar gewiegte Politiker, welche ſi<h damals äußerten: „Fn dieſer Kriſis hängt Alles von der Politik Deſterreichs ab. Wenn es, wie die neueſten Berichte zu zeigen ſcheinen, entſchloſſen iſt, keine n ſeiner flaviſhen Grenze zu dulden, muß der Auſſtand aus Mangel an Unterſtützung ausſterben. Wenn es andererſeits den Fnſurgenten geſtattet, Beiſtand aus ſeinen Beſibungen. zu beziehen, ſtehen wirx wahrſcheinli<h am Vorabend einer Agitation, welche die Karte des öſtlihen Enropas verändern mag.“

Bis nun ließ niht das Mindeſte darauf ſchließen, daß Deſterreih von der Richtſchnur der Loyalität abweihen würde, Seine Politik mochte vielleicht für die Sache der Rajahs Sympathie hegen, aber ſeine Staat8männer durften ſih wohl kaum zu Acten hinreißen laſſen, welche ihnen ſeitens des Welttheiles berehtigte Vorwürfe zuziehen mußten. Jedenfalls war das Vorgehen einer Guoßnigee viel zu entſchieden vorgezeichnet, als daß ein fleiner Halbſouverain wie Milan von Serbien auf ihre Entſchlüſſe Einfluß nehmen fonnte.

Von anderer Seite {ob man der „Reiſe in's Ausland“ einen anderen, und zwar ſehr bedenklihen Hintergrund unter. Man frug ſich, ob Fürſt Milan nicht vielleicht abſi<htli<h eine Éleine Tour gemacht habe, um für die Ereiguiſſe während ſeiner Abweſenheit um ſo beſſer jede Verantwortlichkeit ablehnen zu können. Mittlerweile fonnte der Aufſtand in der Herzegowina aus Serbien kräftigen Zuzug erhalten, und was konnte der Fürſt dafür, wenn er, während er im Ausland weilte, durch allerlei unerwartete Nachrichten aus ſeiner Hauptſtadt „überraſ<t“ wurde.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Schritt, welchen Fürſt Milan gethan, indem er ſi<h nah Oeſterreih wandte, in Conſtantinopel lebhafte Beſorgniſſe erwe>te. Man hatte dort gerade Fürſt Milan gegenüber kein ſehr gutes Gewiſſen. Es war auh eine ganz eigenthümlihe Strategie geweſen, mittels welher man den Serbenfürſten ſeinerzeit verlo>te, die Huldigungsreiſe na<h“Conſtantinopel anzutreten. ODeſterreichiſher Einfluß war damals im Jutereſſe der Pforte thätig, um den Fürſten zu bewegen, dieſe Verpflichtung zu erfüllen. Die Türkei ließ darauf dem Mittelsmann, wie dem Verlo>enden gegenüber durhbli>en, daß ſie die Conceſſion, wel<he Milan ihr mit

der Reiſe mache,

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ſehr wohl zu belohnen wiſſen werde. Man deutete ſogar an, daß die Räumung der im ſerbiſhen Gebiet gelegenen Veſte KleinZwornik dux die türkiſhe Beſatzung der Preis für ein Zugeſtändniß ſein ſolle, welhes Milan ohne das gütige Zureden des Herrn von Kallay (damaligen öſterreihiſ<h - ungariſchen Generalconſuls in Belgrad) ſ{<werli< gemacht haben würde. Als aber Fürſt Milan ſein Huldigungsgeſchenk von zehntauſend Ducaten im Serail losgeworden, wollte der Sultan abfolut ni<hts wiſſen von den halben Zuſagen und ganzen Verſprechungen, welche ſein Großvezier in Bezug auf die Räumung Klein-Zwornifks gemacht, und Fürſt Milan mußte die türkiſche Hauptſtadt verlaſſen, ohne die erhoffte Gegenleiſtung empfangen zu haben. Sich alſo überliſtet zu ſchen, wax für ihn um ſo unangenehmer, als von dieſem Momente ah die ſerbiſhe Actionspartei ihr Haupt höher und höher erhob und man ihn offen beſchuldigte, die Jutereſſen des „Vaterlandes“ wenn niht verrathen, ſo doh ſehr {<le<t vertreten zu haben. Oeſterreih-Ungarn aber, das ſi<h gleihſam für die Gegenleiſtung der Pforte verbürgt hatte, kam in die Lage, eingeſtehen zu müſſen, daß ſein Einfluß in Conſtantinopel niht weit genug reiche, um den Sultan zu veranlaſſen, das Wort ſeines Großveziers gebührend einzulöſen.

Ju neueſter Zeit war es nun die Türkei, welche gewiſſe Anforderungen an Serbien ſtellte, die namentli<h angeſihts der Bewegung in der Herzegowina von der ſerbiſchen Selbſtbeherrſhung niht geringe Opferfähigkeit verlangten. Da hielt denn Fürſt Milan die Zeit für gekommen noh dazu gerade im Moment der Wahlen die Lage der Pforte zu benüßen, um jene Conceſſionen zu ertroßen, um die man ihn damals betrogen. Die Wogen der inneren Bewegung in Serbien gingen ho< und es mochte an der Zeit ſein, die erregten Geiſter dur< irgend einen nationalen Erfolg zu beſchwichtigen. Die Räumung Klein-Zworniks war ohne Zweifel ein folches Beſhwihtigungs8mittel. Wenn nun Fürſt Milan den moraliſchen Beiſtand E Ungarns zur Erlangung dieſes Mittels anrief, das ihm geſtattete, die Nuhe im Orient für ſein Gebiet auh fernerhin anfedi zu erhalten, ſo wax ohne E der

Gedanke für ihn maßgebend E daß eine Forderung, welche das Wiener Cabinet ſchon

früher ſo eifrig unterſtützte, und wegen welcher es ſelbſt eine Art Zurü>kſezung vom Sultan zu erleiden hatte, füglih im gegenwärtigen Momente niht als unberechtigt bezei<hnet werden fonnte.

Es war ſicher, daß ein ähnlicher Calcul in der Umgebung des Fürſten Milan gepſlogen wurde, - während in ſlaviſchen Kreiſen die ſeltſamſten Gerüchte im Schwange gingen, die beſſer als alles Andere den Grad der Erregung