Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

zu bezeihnen vermochten, der in jenen leitblütigen Regionen herrſchte. Dennoch gab es eine mit hohen Verbindungen ausgeſtattete flavophile Annexionspartei in Oeſterreich, wel<he beim Zerfalle der Türkei die Gewinnung der dalmatiniſchen Hintexländer für die Monarchie als ein erſtrebenswerthes Ziel erachtete; die maßgebenden Regionen ſeien zwar nicht dieſer Anſicht, deun ſie hielten den Gewinn für prekär, welchen der Anſchluß des Vilajets Bosnien an Oeſterreih-Ungarn im Gefolge haben könnte; dagegen ſeien ſie der Anſicht, daß es vortheilhaft wäre, die <riſtli<en Provinzen der Pforte mit den criſtlihen Vaſallenländern zu einem homogenen (gleichartigen) Ganzen zu verſhmelzen, und zwar unter dem Scepter eines der beiden hierbei zunächſt in Frage kommenden Fürſten, Nikolaus von Montenegro oder Milan von Serbien. Erſten halte man indeß für den geeigneteren, weil ex energiſcher und volksbeliebter ſei und ſein ‘intimes Verhältniß zu Rußland ihm auch deſſen moraliſche Unterſtüßung ſichere, während bei der Begünſtigung Milans ſpäter immer noh mit der „großſerbiſ<hen“ Jdee zu re<hnen ſei, die ſi< niht ohneweiters wegblaſen laſſe. Dieſer neue <riſtlihe Staat habe dann zu Oeſterrei<h-Ungarn etwa in ein ähnliches Verhältniß zu treten, wie dasjenige iſt, in welchem er gegenwärtig zur Türkei ſteht.

Das waren die ſlaviſchen Seifenblaſen, von denen man behauptete, daß ſie au< den Fürſten Milan nicht ruhig gelaſſen hätten, und über die ſi< zu orientiren, er die Reiſe nah Wien ſelbſt in dieſen Tagen der Aufregung nicht geſcheut habe. Freilich war es nur erhißter Phantaſie möglich, ſolhe Combinationen zu bauen.

Junmitten dieſer politiſhen Combination wirkte die Nachricht ziemlih überraſchend, Fürſt Milan habe ſi< in Wien eine Braut geholt und würde demnächſt ſeine Verlobung mit Fräulein Natalie von Kleczko, der Tochter des ruſſiſhen Oberſten Kleczko und einer Fürſtin Stourdza, feiern.

Die Braut, eine Nichte des moldauiſchen Fürſten Muruſſ i, war erſt ſe<zehn Jahre alt, {ón und reigebildet, man rühmte ihre Lieben8würdigfeit und Herzensgüte. Ein Brautſhaß von ſe<s Millionen Gulden war gleichfalls niht zu verachten. Nicht unintereſſant iſ, daß der Urahne ihrer Familie ein Bukowinaer geweſen, und zwar aus der Magnatenfamilie Waſſylko, die ihre Beſitzungen in Lukavic-Berhonet ‘hatte. Von dort zog ein Waſſylko na<h Beſſarabien, kaufte daſelbſt viel Boden an und erwarb mit der Zeit ein koloſſales Vermögen. Sein rieſiger Körper, dur den er ſi<h allgemein bekannt gemacht hat, brachte ihm den Namen Keczkes (der Gewichtige) ein, wel<her Name ſpäter in Keczko überging und den Familiennamen Wa #\ y lk o ganz verdrängt hat. Der Sohn dieſes Keczk o, Großvater der

Fürſtin Natalie, pflegte oft die beiden anderen Linien des Wa ſſylkow- und HormunzakiGeſchlehtes in dèr Bukowina zu beſuchen. Der Vater der Fürſtin ließ alle auf die Genealogie der Familie Bezug habenden Documente ſammeln, um auf Grund derſelben von der rufſiſhen Regierung die Bewilligung zu erlangen, ſtatt Keczko wieder ſeinen ‘eigentlihen Namen Waſſylko zu führen. Fnzwiſchen ſtarb er und ſein Wunſch blieb unausgeführt. Er hat der Tochter 75.000 Deſjatinen (mehr als 140.000 Morgen) guten Bodens hinterlaſſen und außerdem ſehr bedeutende Capitalien, die in Odeſſaer Banken depouirt ſein follen. Es iſ begreifli<h, daß die Bukowinaer Familie, die ſi<h in zwei Zweige trennt, von denen der eine den Barontitel erhalten hat, vollauf damit zufrieden geweſen, ein Mitglied ihres Ge\{<le<tes auf dem Thron zu wiſſen. Auch die Bufowinaer Familie kann auf ihre Abſtammung ſtolz ſein, denn ſie hat bereits vor ſe<8hundert Fahren eine Rolle geſpielt und beſißt no< aus dieſen und ſpäteren Zeiten werthvolle Documente, darunter 3. B. mehrere Briefe des Königs Fohann II. Sobiesfki von Polen, der die Familie wegen ihres Patriotismus mit Gnaden überhäuft hat.

Der Fürſt hatte ſih ſomit ſeine Braut nicht aus einem der europäiſchen Regentenhäuſer geholt und es war kaum mögli<h, an die Verlobung ſelber politiſhe Combinationen zu knüpfen. Die künftige Fürſtin war nicht dur<h fremde Beziehungen an das Ausland gebunden und ſie brachte fein neues Element na< der ſerbiſchen Hauptſtadt ; die Herkunft des Fräuleins von Keczko wird ſ<werli< irgendwelhe Bedeutung erlangen. Ein Merkmal der Situation war es immerhin, daß Fürſt Milan gerade in dieſem Momente ſich einen Hausſtand gründete. Er würde das gewiß niht gethan haben, wenn ex irgendwelche Erſchütterungen für Serbien befürchtete. Der Fürſt mußte der Anſicht ſein, daß Serbien keine Veranlaſſung habe, ſi< leichtfertig in die Action zu ſtürzen und daß, wie immer auh die Ereigniſſe ſi<h wenden mochten, die Geſchi>ke Serbiens keiner Gefahr ausgeſeßt wären.

Die politiſchen Pourparlers, welche ſtattgefunden hatten, waren nicht allein für Serbien, fondern au<h für Oeſterreich von Bedeutung. Letteres hatte ſeit 1866 jene Ruhe bewahrt, wie ſie dur die Friedensliebe und dur< die aus den europäiſchen Verhältniſſen ſi<h ergebenden Bedingungen erzeugt wurde. Zwar beſtand bis zu den entſcheidenden Ereigniſſen des Jahres 1870 ein geſpanntes Verhältniß zu Deutſchland, allein ernſtere Verwickelungen waren daraus niemals erwachſen und die Grenze diplomatiſcher Auseinanderſetzungen wurde niemals überſchritten. Beim Beginne des deutſh-franzöſiſhen Krieges dachte zwar auh Oeſterreih an Rüſtungen, allein die Jdee wurde im Keime zerſtört, da die Unmöglichkeit