Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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Diesmal war jedo< die Sache ruhig abgelaufen, weil es ſi< darum handelte, einen Haufen von Leuten, die um ihren Magen beſorgt waren, zu zerſtreuen.

Die Neutralitäts-Erklärung Englands hatte aber au< auf die muſelmaniſche Bevölkerung der Hauptſtadt einen ungemein peinlihen Eindru> hervorgebracht. Alle Welt hoffte dort auf das Erſcheinen einer engliſchen Flotte im Bosporus. Die Anweſenheit dieſer Flotte würde niht nur der friedlichen, aber geängſtigten Bevölkerung friſchen Muth eingeflößt, ſondern auh die ſo rar gewordenen engliſhen Guineen in Circulation gebra<t haben. Dieſe Hoffnung wurde zu Waſſer und die bleihe Furcht, welche früher nur die ſchwachen Gemüther beherrſchte, hatte ſi<h nun auch des befonneren Theiles des Publikums bemähtigt.

Jndeſſen hatte die Pforte die Erklärung abgegeben, daß ſie bereit ſei, die deutſche Bertretung für die ruſſiſhen Unterthanen während des Krieges zuzulaſſen, die Capitulationen bleiben aufre<t und in Folge deſſen wurden die ruſſiſhen Unterthanen im Türkiſchen Reiche der Gerichtsbarkeit der deutſ<hen Conſulate unterſtellt.

Dieſer Entſchluß der Pforte geſhah in Folge Vorſtellung der deutſhen Regierung; jedo<h behielt ſie ſi< vor, in einzelnen Fällen verdächtige Judividuen auszuweiſen. Perſonen, die im officiellen ruſſiſchen Dienſte ſtanden, ſollten binnen no< zu beſtimmender Friſt das Land verlaſſen.

Der Vertreter Prinz Reuß war au<h am 17. Mai zugleich mit dem Botſchafter von Oeſterrei< und von Jtalien in Conſtantinopel eingetroffen. Prinz Heinrich VIL. Reuß (jüngerer Linie) hat ſi< dur die Verdienſte, die er in einer bedeutenden Stellung ſeinem deutſhen Vaterlande geleiſtet, einen ausgezei<hneten Namen erworben. Geboren am 14. Juli 1825, beſuchte er von 1846 bis 1848 zunächſt die Univerſität Heidelberg, dann die von Berlin. Jum Jahre 1849 trat er als Second-Lieutenant in das achte Uhlanenregiment und machte mit demſelben den Feldzug in Baden mit. Wenige Jahre ſpäter begann ſeine dipl omatiſche Thätigkeit. «Er ward 1853 in ſeiner militäriſhen Eigenſchaft zur königlih preußiſchen Geſandtſchaft nah Wien commandirt, 1854 fungirte er bei der Geſandtſchaft in Dresden. Noh im ſelben Jahr ward ex als Legationsſecretär nah Paris verſet, wo er bis zum Fahre 1863 verweilte und unter den Geſandten Fürſt Haßbfeld, Graf Pourtalés und von Bismar> vielfa<h Gelegenheit hatte, in wichtigen politiſhen Fragen weitgehende Studien zu machen. Jn ‘die Zeit ſeines Pariſer Aufenthaltes fallen, um nur die hervorragendſten Punkte hervorzuheben, der orientaliſhe Krieg und der Pariſer Friede, der italieniſhe Krieg, die handelspolitiſhen Verhandlungen

zwiſchen Preußen und Frankreich. Jm Fahre 1863 zum f. preußiſchen Geſandten in Kaſſel ernannt, vertauſchte er 1864 dieſen Poſten mit dem eines Geſandten in München. Nah dem Ausbruch des Krieges von 1866 begab ſi< Prinz Reuß in das Hauptquartier des Königs und machte in demſelben den Feldzug mit, na< deſſen Beendigung er na<h München zurükehrte. Jm Fahre 1867 ward ex zum Geſandten in St. Petersburg ernannt, in welher überaus wichtigen Stellung er während des Krieges gegen Frankreih eine ſehr erfolgreiche Thätigkeit entwi>elte. Jm Fahre 1871 ward er dur< die Ernennung zum Botſchafter des Deutſchen Reiches, 1873 dur< die Beförderung zum Generaladjutanten des Kaiſers und Königs ausgezeihnet. Fn kaum mehr als zwanzig Jahren hatte der Prinz #0wohl in der diplomatiſchen wie in der militärihen Laufbahn die. höchſten Ehren errei<ht und die glänzendſte Anerkennung ſeiner verdienſtvollen politiſchen Thätigkeit ſich erworben.

Prinz Reuß iſt niht nur ein gewandter Diplomat, ein ſcharſbli>ender, geſhäftskundiger Staatsmann, er iſt zugleich ein künſtleriſh hochbegabter und feingebildeter Mann; ſeine Zeichnungen und Aguarelle ragen weit über den Dilettantismus empor. Er zeichnet ſi< ferner dur< e<hte Menſchenfreundlichkeit aus; ſein ſelbſtloſes Weſen, ſeine opferwillige, ſtets zum Helfen bereite Handlungsweiſe fanden überall die danfbare Anerkennung weiteſter Kreiſe, wie dies dur< die ihm bei ſeinem Anfangs des Jahres 1876 erfolgten Scheiden aus St. Petersburg dargebrahten Ovationen beſtätigt wurde.

Jm Februar des Jahres 1876 vermählte er ſi< mit Prinzeſſin Marie von Sachſen-Weimar-Eiſenah, ein Jahr darauf wurde er als Botſchafter nah Conſtantinopel geſendet.

Prinz Reuß hatte ſi< vor dem Antritte ſeines Botſchafterpoſtens in Conſtantinopel über die Politik Deutſchlands im Oriente genau orientirt und in Wien Auſſchlüſſe über die Richtung dieſer Politik gegeben, die, wenn ſie au< größtentheils nur Bekanntes wiedergaben, doh auf die Entſ<hließungen Oeſterreihs von Einfluß ſein mußten. Es handelte ſi< immer um die große Frage der Donau, um die Frage: in welcher Weiſe es gelingen könnte, die Einführung der ruſſiſchen Herrſchaft über den untern Lauf der Donau fernzuhalten, der ruſſiſchen Herrſchaft in directer oder auh in indirecter Form. Mit wel<en Sympathien auh die maßgebenden Berliner Kreiſe die ruſſiſchen Waffen begleiten mohten und wie lebhaft auh der Wunſch dieſer Kreiſe ſein fonnte, daß Rußlands Armeen Sieger in dem Kampfe gegen die Türkei blieben, ſo verkannte man do< au< in Berlin niht, daß, wenn die ruſſiſchen Waffenerfolge zu der Herrſchaft Rußlands über die untere Donau führen ſollten, eine bedenkliche