Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
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proteſtantiſhes Bethaus und ein von Preußen geſendeter und dotirter Geiſtlicher ſi< befindet. Eine derſelben iſ das Dorf Kataloi. Sich aber eine Jdee von einem derartigen Gemeinweſen zu machen, wird Jedem \{<wer fallen, der das Ding niht geſehen hat. Anfängli<h gewahrt man blos eine Anzahl von um hohe Stangen geſchichteten Heuſchobern und roh geflo<tenen Maiskörben, erſt allmälig zwiſchen denſelben rundlihe Erhöhungen, wel<he die Dächer der Wohnungen vorſtellen. Dieſe ſind nämli< völlig in die Erde gegraben, ſogenannte Semtanken, wie ſie im ſüdli<hen Rußland üblich. Daher ſtammen ſie auh. Denn dex größte Theil der deutſchen Anſiedler hat ſi< niht direct vom alten Vaterlande hierher gewen- : det, ſondern auf dem Umwege über das Czarenreih. Der Krimkrieg war die Urſache dieſer Vertauſhung. Kaiſerin Katharina IL. hatte, um das eroberte Neurußland mögli<hſſt raſ< zu bevölfern und zu cultiviren, deutſche Anſiedler unter vortheilhaften Bedingungen dahin geladen, welche viele Tauſende verlo>ten ; eine davon gewährte ihnen die Befreiung vom Militärdienſte, alſo eine Au8nahmsStellung im ruſſiſchen Unterthanenverbande, Als im Jahre 1853 die Wiener Conferenz keine Ausgleihung des zwiſhen Czar und Sultan entſtandenen Conflictes zu bewirken vermochte, erklärte der Erſtere dur< beſonderen Ukas alle Lande8angehörigen für militärpflihtig, und ſofort begann die Recruten-Aushebung auch in den deutſchen Colonien. Dieſe beriefen ſi< auf verbriefte Gere<htſame — allein vergebens. Das war denn doh der germaniſhen Zuverſicht auf Fürſtenwort und Regierung8verſprehungen etwas zuviel zugemuthet ; eine von Tag zu Tag ſi ſteigernde Aufregung lief dur< die damals {on über 300.000 „Seelen“ zählende Bevölkerung der deutſchen Anſiedelungen von Akkerman bis nah Tiflis ; ein Sturm von Petitionen erging an den Czar; umſonſt, es blieb bei dem Ukas.
Zimmermann, Geſh. des orient. Krieges.
General Gurko,
Da ermannten ſih die Leute. Sie traten in Conventikeln zuſammen und beſchloſſen die Auswanderung. Anfangs war nahezu die Hälfte der Coloniſten zu dieſer leßten Zuflucht geneigt, allein je näher die That heranrü>te, um ſo mehr fielen ab. Zuletzt hatten ſi< nur etwa 20.000 Perſonen zur Aufgabe ihrer bis dahin ganz befriedigenden Verhältniſſe entſchloſſen. Ein kleiner Theil davon wendete ſi<h wiederum der alten Heimat zu, ein anderer ſuchte „Neuland“ in Amerika oder Nordafrika, die Mehrzahl nahm die von der Türkei bereitwilligſt erfolgte Einladung an und zog nah der Dobrudſcha.
Allein als die guten Leute anſtatt der Bähe voll Milch und Honig, \{<were Arbeit der Urbarmachung eines bis dahin jungfräulichen Bodens vorfanden, begann ihnen / die Unklugheit des Wechſels aufzudämmern, und nunmehr ſeufz-
ten ſie wehleidig zurü> na< den „Pfeben (Art Kürvis), Zwiebeln und Lauch“ des verlaſſenen, ſ{<on ziemli< cultivirten, daher ertragsfähigern Landes. Daneben waren ſie aus ‘dem Regen in die Traufe gerathen, denn das Geſetz der Türkei behandelte ſie als Rajah nicht beſſer als der faiſerliche Ukas. Daher Unzufriedenheit, Auflehnung gegen Polizeimaßregeln und Steuereintreiber, namentli< aber ſtete Behelligung der Conſuln, welche helfen ſollten, wenn man einem Colonen die Kuh gepfändet oder einem anderen wegen Holzdiebſtahls die Baſtonnade zuerkannt worden war. Gerade die aus Neurußland Eingewanderten befanden ſi< hier völlig in der Schwebe, ſowohl die deutſchen als die ruſſiſhen Conſuln verläugneten ſie vollſtändig und wohl mit Recht. Daher dann bitterlihe Klage bei allen Coloniſten über die neuen Verhältniſſe. Mit hübſchen Erſparniſſen waren ſie na< der Dobrudſcha gezogen, allein auh in dieſe Provinz wälzte ſi<h damals der Krieg und raubte ihnen, was ſie in beſſeren Zeiten erübrigt. Ein Theil der armen Leute verſuchte die Rückwanderung, jedo< vergeblich ; das ruſſiſche
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