Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
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über Abdul Kerim ſehr geringſhäßend geurtheilt, ihm jede Fuitiative, ja ſogar jeden militäriſhen Bli> abgeſprochen, während Osman Paſcha von Klapka ſtets hoh gehalten wurde.
Gewiß waren die Fehler, wel<he Abdul Kerim begangen, zahlrei<h und ſ{hwerwiegend, doch darf man nicht vergeſſen, daß er alle dieſe Fehler begangen, weil er durchaus nichts wagen, nur mit einem ſicheren Einſaß ſpielen wollte. Demzufolge ſtand no< die türkiſche Armee in voller Stärke ungeſ<hwächt da, und inſofern war es noch viel zu früh, von einer verlorenen Partie zu reden. Abdul Kerim hatte feine Shlacht verloren, und keiner ſeiner befeſtigten Punkte, auf welche er ſi< ſtüßte, war von den Feinden genommen.
An der Stelle Abdul Kerim's wurde Muschir (Marſchall) Mehemed Ali Paſcha ernannt. Dieſer plößlihe, unerwartete Wechſel im Commando der ottomaniſhen Donau-Armee war ſelbſt für die dur< denſelben direct Betroffenen bis zum allerlezten Augenblicke ein Geheimniß geblieben. War dieſes Ereigniß {hon an und für ſi<h von höchſter Bedeutung, ſo gewann es no< an Wichtigkeit, wenn man berü>ſichtigt, daß der Entſchluß des Großherrn ſeiner eigenen JFnitiative entſprang, der Entſchluß: an die Spiße der Donau-Armee einen Commandanten zu ſtellen, der nebſt der unbedingt erforderlichen geiſtigen und moraliſhen Eigenſchaften au< über jene phyſiſchen Kräfte verfügte, welcher die aufreibende Thätigkeit dieſes in dieſem Augenbli>e wichtigſten aller Poſten dringend bedurfte.
Die Ernennung Muſchirs Mehemed Ali Paſha zum Commandanten der Donau- und Balkan-Armee und ſämmtlicher Truppen Rumeliens war eine glü>li<he zu nennen. Muſchix Mehemed Ali, zwar von franzöſiſcher Abkunft, war dennoh ein Deutſcher ‘von Geburt. Der große Ali Paſcha hatte ihn zufällig als Knaben in Berlin kennen gelernt und ſeines vielverſprechenden Talentes wegen na<h Stambul mit ſi< genommen. Dort wurde er in der Militärhule erzogen und genoß ſpäter ſeine weitere Ausbildung in Deutſchland und Frankreich. Als Adjutant und Generalſtabs - Offizier O mer Paſcha $ wurde er während des Krim-Feldzuges in die Schule des Krieges eingeführt und ſoll ſhon damals beſondere Beweiſe ſeiner hohen militäriſchen Befähigung und ſeiner ſoldatiſchen Tugenden geliefert haben. Jn den verſchiedenartigſten Dienſtesverwendungen, in welchen ex in ſpäteren Jahren ſtand, hat er ſtets den hohen Erwartungen entſprochen, welche Ali und Omer Paſcha in den Füngling und ſpäter in den jungen Offizier geſeßt. Was Mehemed Ali in den legten Feldzügen in Bosnien und gegen Montenegro geleiſtet, iſt bekannt.
Ende Funi wurde Mehemed Ali Paſcha mit ſeinem Corps vom montenegriſchen Schauplave, wo er ſi< neue Lorbeern pflückte, nah der Donau abberufen, traf Mitte Juli an der Spitze ſeiner ſieges8trunkenen Truppen in Sofia ein, woſelbſſt ihn ein fkaiſerliher Befehl nah Conſtantinopel berief. Am 20. daſelbſt angelangt, wurde er ſofort vom Sultan empfangen und erhielt die Mittheilung, daß ex unverzüglich das Commando der Donau-Armee zu übernehmen habe. Zwei Stunden darnach verließ er, mit umfaſſenden Vollmachten verſehen, als neuer Armee-Commandant die Hauptſtadt und traf am 21. Abends zum größten Erſtaunen Aller im Hauptquartier zu Schumla ein. Dasſelbe Schiff und derſelbe Train, die Mehemed Ali nah Schumla brachten, wurden vom Serdar Ekrem und dem Ex-Kriegsminiſter benüßt, um nah Stambul zurü>zukehren. Die Aufgabe, an die Spive einer Armee zu treten, die überhaupt hon unendli< ſchwierig, die höchſten Anforderungen an die geiſtigen und moraliſchen Eigenſchaften des Obercommandanten ſtellte, wurde noh zehnfa<h ſ{<wieriger, weil dies plößli<h und unvorbereitet geſchah und in einem Augenbli>e, in dem die Operationen bereits begonnen hatten. Mehemed Ali Paſcha ſchien übrigens im vollen Vertrauen auf die brave tüchtige Armee und im Bewußtſein ſeiner geiſtigen Kraft frohen Muthes den Ereigniſſen entgegen zu ſehen.
Allein die Orientalen find bekanntli<h Meiſter in der Verſtellungskunſt und Mehemed Ali täuſchte ſi<h ſelb wohl ſ<werli< über die Schwierigkeiten, die ihm no<h der Neid und die Mißgunſt der türkiſhen Heerführer bereiten fonnten. Die os8maniſ<hen Marſchälle mußten dur< die Ernennung Ali Paſchas in ihrem tiefſten Ehrgeize ſi< verlebt fühlen. Jn keiner Armee wohnt den Genexalen ſo wenig Selhſtverläugnung inne, als in der türkiſchen, in welcher kleinliche Eiferſüchteleien lähmend auf ihre Unternehmungen wirken. Der Krieg erſcheint Jedem Selbſtzwe>. Mehemed Ali hatte daher mit Mißtrauen und Haß, wel<he im Oriente jedem Europäer entgegengebra<ht werden, zu fämpfen. Jn einer Armee, wo ſolche Erſcheinungen zu Tage treten, war die Ernennung eines Mannes ohne glänzende Vergangenheit zum Führer, ſeine Erhebung zum Vorgeſetzten vieler verdienter Männer, welche vor wenigen Tagen no< im Kriege ho< über ihm ſtanden, eines Mannes, der troß ſeines Uebertrittes zum Jslam von dem echten Alttürkenthume denno<h als „Giaur“ (Ungläubiger, Ketzer) betrachtet wurde, eine ſehr gewagte Maßregel. Bei der Erbitterung der zurückgeſetzten, in ihrem Ehrgeize verleßten Marſchälle war auh daher zu beſorgen, daß die Erhebung Mehemed Ali's auf den höchſten militäriſhen Poſten unter den Truppen-