Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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Bewältigung des Aufſtandes. Aber die Pforte, indem ſie dem letzteren Paſcha alſo ihr Mißtrauen bezeugte, beging eine gewaltige Ungerectigfeit. Der einſtige Vali des Vilajets von Bosnien war ein ebenſo energiſher Beamter wie tüchtiger Soldat. Wenn er dem Aufſtande der Rajahs gegenüber ohnmächtig blieb, fo geſhah es, weil man ihn von Conſtantinopel aus in keiner Weiſe unterſtützte. Er verlangte Geld und Waffen und man blieb taub bei ſeinen ſi< drängenden Nothrufen. Er forderte ausreichende Verſtärkung an Maunſchaft und Artillerie und man entſandte zwei Bataillone, kaum 2000 Mann, auf dem Seewege über Klek, die alſo erſt ſpät eintreffen fonnten. Nedjib Paſcha ſollte nun mit ſeiner Perſönlichkeit die ganze Serie von Verſäumniſſen ausgleihen! Die ſtrategiſhe Begabung desſelben war unbekannt, nur das. ſtand feſt, daß inzwiſchen der Aufſtand nah Norden und Oſten hin ſo bedeutend an Ausdehnung gewonnen hatte, daß ein Feldherr, ſelbſt von dem Genie Moſltke's, ohne die entſprehende materielle Unterſtüßung an Geld, Truppen, Waffen und Verpflegung niht das Mindeſte ausrichten konnte.

Die Jnſurgenten in der Herzegowina hatten neuerlihe Vortheile errungen, welche darlegten, daß der Aufſtand ſi< namentli< gegen Oſten zu ausbreite. Die Einnahme der Stadt Metochia, wie diejenige der Bergveſte Goransko bei Piva, waren ein deutlicher Fingerzeig dafür, daß man die Türken zwiſchen zwei Feuer zu nehmen ſuchte. Von der montenegriniſchen Grenze operixten die Aufſtändiſchen na<h Norden, indem ſie gleichzeitig öſtlih den Zuzug türkiſher Verſtärkungen aus Albanien und Macedonien abhielten, während im Norden, in Bosnien, die neu ausgebrochene Empörung gegen Süden drängte und ſo die Türken in die Gefahr verſetzte, von ihrer natürlichen Rückzugslinie ganz abgedrängt und mithin umzingelt zu werden.

Wie der neue Oberhefehlshaber Nedjib Paſcha auf den Kriegsſchauplaß gelangen ſollte, wurde nicht geſagt. Der Weg durch die Gebirgspäſſe zwiſchen der ſerbiſchen und montenegriniſchen Grenze war weniger ſicher denn je zuvor, nahdem die Wahlen in Serbien ein ſo überaus radicales Ergebniß geliefert hatten, daß das conſervative Miniſterium ſi<h genöthigt ſah, ohne erſt den Zuſammentritt der Skupſchtina abzuwarten, ſofort: ſeine-Entlaſſung zu geben. Man ſpra<h von der Bildung eines Cabinetes Riſtics und Gruics., Dieſe beiden Führer der National-Liberalen in Serbien, welche mit einem Fuß ſchon im Lager der Omladina ſtanden, waren wenig geeignet, den friedfertigen Abſichten des Fürſten Milan beſonderen Vor{hub zu leiſten. Von dem neuen Cabinet in Belgrad mußte man ſ\i< ſogar einer ziemlich

energiſch ausgeſprochenen antitürkiſhen Politik verſehen, wenn ſelbes auh natürlih der Großmächte wegen den äußeren Anſtand bewahren und ſcheinbar den Liebens8würdigen ſpielen würde. Aber unter der Hand konnten die Rajahs auf Unterſtüßung aller Art rechnen, und das war für die Kämpfenden, nun, wo man ſi<h dicht an der ſerbiſhen Grenze zu ſchlagen begann, ſehr viel werth.

Die Wahlen in Serbien rechtfertigten alle hier angedeuteten Befürchtungen. Fhr Reſultat war ein ſolches, das für die Erhaltung des Friedens und der ſerbiſchen Neutralität im höchſten Grade bedrohli<h genannt werden mußte. Das conſervative Cabinet wurde über Nacht vom Regierungstiſch weggefegt oder do< zur Ertheilung der Demiſſion genöthigt. Die Actionspartei hatte einen glänzenden Sieg davongetragen und ihr bekannter Führer Riſtics, der erſte der drei ehemaligen ſerbiſhen Regenten, trat ſogleich von Prag aus, wo ex in einer Art freiwilligen Verbannung ſeine Stunde abgewartet, auf Grund einer telegraphiſhen Berufung die Heimfahrt an.

Der Ausfall der Wahlen war ein niht wegzuleugnender Proteſt der Serben gegen die Friedenspolitik ihrer Regierung, gegen die Politik, welche Fürſt Mila n dem Drei-Kaiſer-Bund und ſpeciell dem Wiener Cabinete zu befolgen ſich verpflichtet hatte. Der junge Dbrenowitſch war in einer ungemein mißlihen Lage. Wenn er ‘als conſtitutioneller Fürſt die Demiſſion des Cabinetes annahm und die Häupter der Actionspartei zur Leitung der Geſchäſte berief, war Serbien morgen unbedingt in den Aufſtand verwi>elt.

Ein Miniſterium Riſtics hätte ſih blutwenig um die Neutralität gekümmert, welche ſerbiſcherſeits officiell in Conſtantinopel zugeſagt wurde. Es hätte vielmehr ſo offen und rüchaltslos für die nationale Sache Partei genommen, daß Fürſt Milan — welcher in. dieſem Fall nicht auf die Unterſtübung der drei Kaiſerreiche zu re<hnen hätte — der Pforte gegenüber ernſtlich compromittirt und vielleicht ſogar ſeine Dynaſtie in Frage geſtellt würde. Der bedrängte Regent konnte freili<h zu dem Auskunftmittel einer Kammerauflöſung greifen, er konnte die Demiſſion des Cabinets zurü>weiſen und den „Appell an das Land" mit einem Manifeſt begleiten, in welchem er ſeinen Unterthanen eindringli<h die Gefahren der Situation ſchilderte; aber es war ſehr problematiſch, ob eine Warnung dieſer Art es vermochte, die hohgradig erregten Gemüther zur Ruhe und Beſinnung zurückzubringen. Die Großſerben hielten die Stunde herangekommen, in welcher — jeßt oder niemals — das Piemont der Balkan-Halbinſel ſeine hochfliegenden Träume verwirklichen, ſeine. „heilige nationale Miſſion“ erfüllen müßte. Die unterdrü>ten Brüder riefen, und Serbien durfte ihnen na< den Anſchauungen