Albanien und die Albanesen : Landschafts- und Charakterbilder : mit vielen Abbildungen

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denken dieſes Mannes in einem ſpäter von de Rada

geſammelten Gedichte bewahrt hätten, die Welt wüßte | heute ebenſowenig wie die Arnauten ſelb von dieſem |

deamatiſh angelegten Meteor. Sieht man von der Tätigkeit der Phantaſie ab, ſoweit vazu Bibel und Koran Veranlaſſung geben, ſo beſchränkt ſi< die Poeſie der Albaneſen vorerſt auf jene Gebiete, die ſonſt dem Aberglauben gewidmet ſind.

Mythus und Legende treten in Albanien verhältnismäßig ſelten auf und dann immer mit durchaus lokalen, an die Scholle gebundenen Anhaltspunkten, deren Quelle kaum einige Jahrhunderte weit zurückreicht, ſehr oft aber au< jedes hiſtoriſ<hen Untergrundes entbehrt. Felsformen, Höhlen, Ruinen, Klöſter und Burgen werden oft mit irgendwie benannten Perſönlichkeiten und mit meiſt durchaus erfundenen Ereigniſſen in Verbindung gebracht, was wohl vermuten läßt, daß auch dieſe lokalen Sagen, nicht minder als die Geſchichte, der Vergeſſenheit und fortwährender Neubildung unterliegen.

Weit beſtimmtere und mannigfaltigere Formen nimmt | dagegen das albaneſiſhe Märchen an, daß ſi<h von | den Müttern und Großmüttern auf groß und klein vererbt. î Dies mag daher kommen, weil das Märchen als die

erſte, prafktiſde Form der geſhürzten und gelöſten Erzühlung dem primitiven Kulturzuſtande des albaneſiſchen Volkes entſpriht und niht über den Berei<h und das Bedürfnis der ſtill ſeßhaften Frauen- und Kinderwelt hinausgeht. Daß ſi<h das albaneſiſche Märchen mit ſeiner ſtereotypen und originalen Einbegleitungsformel: „Es war und es war niht“ unter allen Produften der nationalen Phantaſie am wenigſten verändert hat, beweiſt einerſeits ſein von jeder tatſächlich hiſtoriſchen Zutat freier Charakter und anderſeits die Natur der ſittlichen Probleme, welche die albaneſiſhen Märchen mit denen der übrigen indo=germaniſchen Völker gemein haben. 12*