Archiv für slavische Philologie : Jovanović, »La Guzla« de Prosp. Mérimée

Jovanovic, »La Guzla< de Prosp. Mérimée, angez. von Curcin.

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genden entstanden, die sich bis auf den heutigen Tag weiterpflanzten, und auch mancher unter uns erzählte die eine oder die andere im guten Glauben weiter. Diese zerstreut, oder auf ihre Ursprünge zurückgeführt zu haben, zählt Herr J. mit Hecht zu den Verdiensten seines Werkes. Er selbst macht es Mérimée zum Vorwurf, daß dieser so sehr darauf bestand, »La Guzla« als eine Mystifikation hinzustellen, wo es ja ursprünglich eigentlich nicht so sehr als solche gedacht war, und daß er überhaupt an dem Werke so wenig Vergnügen finden konnte. In der Tat, meint er, ist es ein Prachtstück in seiner Art, und gerade an ihm sei die Entwicklungsgeschichte des romantischen Exotismus, des phantastischen Exotismus, und seine graduelle Transformation in den gegenwärtigen realistischen Exotismus, am besten zu studieren. Soweit der Verfasser. Alle diese, hier nur kurz zusammengefaßten, Ausführungen geben nicht nur einen übersichtlichen Überblick über die springenden Punkte und eine geistreiche Beantwortung der wichtigsten Fragen, die sich bei der Beschäftigung mit dem Mériméeschen Werkchen aufdrängen, sondern auch die Schlußbetrachtung der Resultate seiner eigenen Forschung. Der Verfasser, des Serbischen kundig und ein Serbe von Geburt, befand sich in der für einen Mériméeisten beneidenswerten Lage, seinen Autor, eine der interessantesten Erscheinungen der Weltliteratur, bei seiner mystifikatorischen Tätigkeit Schritt für Schritt verfolgen und in den meisten Fällen schon von vornherein das Echte vom Unterschobenen unterscheiden zu können; es erübrigte noch, die Quellen des Mystifikators ausfindig zu machen und festzustellen, und die Untersuchung dann in den Rahmen einzurücken und plastisch hervortreten zu lassen. Dies geschah, und somit kann das Werk des Herrn J., wie gesagt, auf volle Beachtung der wissenschaftlichen Kreise Anspruch erheben. Allerdings in erster Linie in Frankreich unter den Mériméeisten; für die übrigen wissenschaftlichen Zweige, die in Betracht kommen, sind einige Einschränkungen nötig, und es sei mir gestattet auch diese in Erwägung zu ziehen. Weil eben verschiedene Gesichtspunkte in Betracht kommen und das Werk nicht nur für Fachgenossen in engerem Sinne bestimmt ist, hielt es der Verfasser für erforderlich, seine Forschungen durch Auszüge aus anderen Werken und Abhandlungen für weitere Kreise abzurunden und zu vervollständigen. Auf diese Weise hat er das Werk auf das doppelte, ja dreifache dessen anschwellen lassen, was der Gegenstand eigentlich erforderte. Nun stimme ich zwar mit ihm überein, daß »Überfluß dem Unzulänglichen» vorzuziehen sei, bin jedoch der Ansicht, daß er des Guten zu viel tat und weit über das Wünschenswerte gegangen ist. Nicht nur daß infolgedessen sein eigenes Verdienst nicht deutlich genug herauszukennen ist, sondern die übermäßige Fülle an Material macht das Werk unübersichtlich und unhandlich. Die großen Linien werden zu häufig von den Details unterbrochen und verwischt, und das Ganze verliert an Einheitlichkeit und Deutlichkeit, ohne jedoch vollständig im Sinne des Verfassers zu werden. Denn, gäbe es überhaupt ein Ende bei einem wissenschaftlichen Thema, wenn man sich auf alle Nebenfragen und Nebenpfade einlassen wollte? Anderseits wieder: wozu dasjenige in vollem Umfange herüberzuholen, was durch einen Hinweis auf andere

Archiv für slavische Philologie. XXXIV. 17