Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 7.
188 Herr Ulrih v. Lihtenſtein,
ſie ſo tapferer Thaten wegen ihn rühmen und ihm in Minne gewogen ſein werde.
Wiederum meldete ex ihr, wie pflichtſhuldig, was er für ſie gethan, und gab dazu ein Lied in einer Tanztweiſe, welches zu Frieſa<h mancher Ritter gelobt, die Weiſe neu und die Worte ſ{hön und wahr befunden hatte. Darin flehte er, ihn niht aus dem glü>lihen Traum heraus= zureißen und wenigſtens ſeinen Gedanken zu vergönnen, ihr nahe zu ſein: ohne ſie ſei der Mai ihm freudenlos.
Dergleichen edle Kunſt, zu dichten und zu ſingen, hatte der mit reicher Phantaſie begabte Ulrich beim Markgrafen Heinrich von Oeſterreih erlernt, wohin ihn, nah dem Edelknabendienſt bei Agnes v. Meran, ſein Vater als Knappe gegeben. Für ſie, die Dame ſeines Herzens, machte er ſeine erſten Verſe, für keine Andere ließ er ſeitdem ſeinen Sang ertönen. Denn ex dichtete ſingend und ſein Schreiber mußte in Worten und Noten auf= zeichnen, was von ſeinen Lippen kam, ſintemak ex ſelbſt weder leſen no< ſ{hreiben konnte. Wohl aber war in dieſer Kunſt die Dame, die ex liebte, erfahren. Sie las ſeine thx gewidmeten Lieder und ließ ſie von ihren Edel= damen ſich vorſingen. Auch lobte ſie ihn wohl wegen ſeiner Begabung. Doch zürnend wies ſie, zu hoh an Rang ſich fühlend gegen ihn, ſein Minnewerben ab. Ex hörte verzweifelnd fol<he Botſchaften und beſchloß, ihr ein neues Zeichen zu geben, weſſen ex für feine Liebe fähig ſei. Wie einſt die Lippenwulſt, ſo ließ èr ſi< jeßt einen im Turnier beſchädigten Finger abſchneiden, den er in goldener Kapſel mit einem neuen Gedicht ihr