Bitef

Konsequenzen brachte ihn zur Auseinandersetzung mit Lebenslügen, Selbsttäuschungen und Verfremdungen. Aus dem Privaten ins Gesamte, so könnte man seine literarische Arbeit in der speziellen Situation der DDR beschreiben. Dabei stand die DDR nie als solche im Mittelpunkt, auch wenn sein letztes Stück Villa Jugend diesen Schluß nahelegt. Seine Figuren leben das Scheitern, den Verlust von Nähe, von Identität als verhaltene Opfer ihres Anspruchs auf Eigenleben in einer Gesellschaft, die in ihrer Absolutheit diesen Menschen sogar die Kraft nimmt, aus dem vermeintlichen Scheitern den positiven Anstoß zur Veränderung zu gewinnen. Georg Seidel starb Anfang Juni 1990. In der Zeit der Wende mußte er viele Enttäuschungen erleben, die seine Erfahrungen, die er literarisch umsetzte, in vielen Facetten bestätigten. □ Tragikomischer Nachruf auf die DDR Halleluja, das Berliner Ensemble lebt wieder! Der es aus dem Koma erweckte, in dem sich das alte Brecht-Theater

schon seit längerer Zeit befunden hat, heißt Fritz Marquardt, ein kleiner, kauziger Mann mit Schnauzbart, etwa 62 Jahre alt, der sich in der Vergangenheit als Regisseur hauptsächlich mit den Stücken seines Freundes Heiner Müller befaßte. Jezt hat er sich des letzten Stückes von Georg Seidel angenommen, an dem der Autor bis kurz vor seinem Tod gearbeitet hat. Seidel - bekannt geworden vor allem mit »Carmen Kittel« - starb im Juni letzten Jahres, noch nicht 45 Jahre alt. »Villa Jugend« handelt von den Neitzels, einem älteren Lehrerehepaar mit Sohn und Tochter, beide erwachsen, dessen Haus in einer DDR-Kleinstadt Mittelpunkt des kulturellen Lebens gewesen ist, weil der Mann als Bürgermeister und Mitglied der SED alle Fäden in der Hand hatte. Nun ist allerdings die Herrlichkeit vorbei. Schon vor sechs Wochen hat der Alte versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Samt Familie will er sich in die Gegend zurückziehen, aus der sie gekommen waren, irgendwo im stinkenden Süden der DDR. Was an dem Stück fasziniert, ist die Leichtigkeit, mit der Seidel die DDR-spezifischen Gemeinheiten nur so nebenbei einstreut. So erfahren wir, daß Lydia Neitzel ursprünglich zwischen ihrem Mann und einem anderen geschwankt hatte. Der war jedoch, ohne daß sie davon seinerzeit wußte,