Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Feldmaus: Lebenêweiſe. Fortpflanzung. Mäuſejahre. 541

zerbiſſenem Graſe, fein zermalmten Halmen oder auh mit Moos weich ausgekleidet find, 4—8 Junge, und im Verlaufe der warmen Jahreszeit wirft ein Weibchen noch vier- bis ſe<s3mal. Höchſt wahrſcheinlih ſind die Jungen des erſten Wurfes im Herbſte ſhon wieder fortpflanzungsfähig, und ſomit läßt ſich die zuweilen ſtattfindende erſtaunliche Vermehrung erklären. „Unter günſtigen Umſtänden“, ſagt Blaſius, „vermehren ſih die Feldmäuſe in unglaubliher Weiſe. Es ſind viele Beiſpiele bekannt, daß dur ihre übermäßige Vermehrung auf weite Länderſtre>en hin ein großer Teil der Ernte vernichtet wurde und mehr als tauſend Morgen junge Buchenſhonungen dur< Abnagen der Rinde zerſtört worden ſind. Wer ſolche mäuſereiche Jahre nicht erlebt hat, vermag ſi ſ{<hwerli< eine Vorſtellung von dem faſt unheimlihen, buntbeweglihen Treiben der Mäuſe in Feld und Wald zu machen. Oft erſcheinen ſie in einer beſtimmten Gegend, ohne daß man einen allmählichen Zuwachs hätte wahrnehmen können, wie plöglih aus der Erde gezaubert. Es iſt möglich, daß ſie auch ſtellenweiſe plößlih einwandern. Aber gewöhnlich iſt ihre ſehr große Vermehrung an der Zunahme der Mäuſebuſſarde ſhon wochenlang voraus zu vermuten. Fn den zwanziger Jahren trat am Niederrheine wiederholt dieſe Landplage ein. Der Boden in den Feldern war ſtellenweiſe ſo durhlöchert, daß man kaum einen Fuß auf die Erde ſtellen fonnte, ohne eine Mäuſecröhre zu berühren, und zwiſchen dieſen Öffnungen waren zahlloſe Wege tief ausgetreten. Auch am hellen Tage wimmelte es von Mäuſen, welche frei und ungeſtört umherliefen. Näherte man ſi< ihnen, ſo kamen ſie zu 6—10 auf eimnal vor einem und demſelben Loche an, um hineinzuſhlüpfen, und verrammelten einander unſreiwillig ihre Zugänge. Es war. niht ſ{<hwer, bei dieſem Zuſammendrängen an den Nöhren ein halbes Dugend mit einem Sto>ſchlage zu erlegen. Alle ſchienen kräftig und geſund, doh meiſtens ziemlich klein, indem es großenteils Junge ſein mochten. Drei Wochen ſpäter beſuchte ih dieſelben Punkte. Die Anzahl der Mäuſe hatte no< zugenommen, aber die Tiere waren offenbar in krankhaftem Zuſtande. Viele hatten ſchorfige Stellen oder Geſhwüre, oft über den ganzen Körper, und auch bei ganz unverſehrten war die Haut ſo lo>er und zerreißbar, daß man ſie niht derb anfaſſen durfte, ohne ſie zu zerſtören. Als ih 4 Wochen ſpäter zum drittenmal dieſe Gegenden beſuchte, war jede Spur von Mäuſen verſ<hwunden. Doch erregten die leeren Gänge und Wohnungen einen noh viel unheimlieren Eindru> als die früher ſo lebendig bewegten. Man ſagte, plößlich ſei das ganze Geſchleht wie dur< einen Zauber von der Erde verſ<hwunden geweſen. Viele mochten an einer verheerenden Seuche umgekommen ſein, viele ihresgleichen aufgefreſſen haben, wie ſie es auch in der Gefangenſchaft thun; aber man ſprah au< von unzählbaren Scharen, die am hellen Tage an verſchiedenen Punkten über den Rhein geſhwommen ſeien. Doch hatte man nirgends in der weiten Umgegend einen ungewöhnlichen Zuwachs geſehen; ſie ſchienen im Gegenteile überall gleihzeitig verſ<hwunden zu ſein, ohne irgendwo wieder aufzutauchen. Die Natur mußte in ihrer übermäßigen Entwickelung auch gleichzeitig ein Werßzeug zu ihrer Vernichtung geſchaffen haben. Die Witterung, ein ſ{öner, warmer Spätſommer, ſchien ſie bis zum legten Augenbli>e begünſtigt zu haben.“ Um für die Maſſen der Mäuſe, wel<he man<hmal in gewiſſen Gegenden auftreten, Zahlen zu geben, will i< bemerken, daß in dem einzigen Bezirke von Zabern im Jahre 1822 binnen 14 Zagen 1/570 /000/ im Landratsamte Nidda 590/327 und im Landratsamte Pubbach 271/941 Stüc Feldmäuſe gefangen worden ſind. „Jm Herbſte des Jahres 1856“, ſagt Lenz, „gab es ſo viele Mäuſe, daß in einem Umkreiſe von 4 Stunden zwiſchen Erfurt und Gotha etwa 12,000 A>er Land umgepflügt werden mußten. Die Ausſaat von jedem Acer hatte nah damaligem Preiſe einen Wert von 2 Thalern; das Umatern ſelbſt war auf einen halben Thaler anzuſchlagen, und ſo betrug der Verluſt mindeſtens 2030,000 Thaler, aber wahrſcheinlih weit mehr. Auf einem großen Gute bei Breslau wurden