Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Feldmaus. Wurzelmaus. 543

thun. Die warnenden Worte einſihtsvoller Berufsgenoſſen waren bis dahin ſpurlos verhallt; die von ihnen dur< Schrift und Wort verkündete Wahrheit, daß das Giftlegen auf den Feldern wohl den Gifthändlern, niht aber den Landwirten Nugen bringe, wurde erſt ſpäter anerkannt. Neben dem Gifte wandte man in fettem Boden mit Erfolg auh das Ausräuchern der Feldmäuſe an, indem man alle Löcher zuſchlug und in die von Mäuſen wieder eröffneten giftige Dämpfe (Kohlen- und Schwefeldämpfe) einſtrömen ließ; aber auch dieſe an und für ſi treffliche Vernichtungsart ließ ſi< niht überall ausführen und verurſachte nebenbei erhebliche Koſten.

Fn Sibirien, und zwar vom Ob bis zum Onon, tritt neben und zwiſchen Verwandten eine Wühlmaus auf, wel<he ebenfalls, obſchon aus anderen Gründen als die Feldmaus, Beachtung verdient: die Wurzelmaus (Arvicola [Aryicola] oeconomus, Mus und Hypudaeus oeconomus). Sie iſt etwas größer als unſere Feldmaus, 18 em lang, wovon 5 cm auf den Schwanz kommen, oben hellgelblihgrau, unten grau, der Schwanz oben braun, unten weiß. Von der Feldmaus unterſcheidet ſie ſih dur den kürzeren Kopf, die fleineren Augen und die kurzen, im Pelze faſt verſte>ten Dhren.

Pallas und Steller haben uns anziehende Schilderungen von dem Leben dieſes Tieres hinterlaſſen. Die Wurzelmaus findet ſi< in Ebenen, oft in großer Menge, und wird von den armen Einwohnern jener traurig-öden Gegenden geradezu als Wohlthäterin betrachtet; denn ſie arbeitet hier zum beſten des Menſchen, anſtatt ihm zu ſchaden. Unter dem Raſen macht ſie ſich lange Gänge, welche zu einem in geringer Tiefe liegenden, großen, runden, mit einigen ſehr geräumigen Vorratskammern in Verbindung ſtehenden Neſte von 30 cm Durchmeſſer führen. Dieſes iſt mit allerhand Pflanzenſtoffen weih ausgefüttert und dient der Maus zum Lager wie zum Wochenbette; die Vorratskammern aber füllt ſie mit allerhand Wurzeln an. ö

„Man vermag kaum zu begreifen“, ſagt Pallas, „wie ein Paar ſo kleiner Tiere eine ſo große Menge Wurzeln aus dem zähen Raſen hervorgraben und zuſammentragen können. Oft findet man 8$—10 Pfund in einer Kammex und manchmal deren 3—4 in einem Baue. Die Mäuſe holen \ſi< ihre Vorräte oft aus weiten Entfernungen, ſharren Grübchen in den Raſen, reißen die Wurzeln heraus, reinigen ſie auf der Stelle und ziehen ſie auf ſehr ausgetretenen, förmlih gebahnten Wegen rü>lings na< dem Neſte. Gewöhnlih nehmen ſie den gemeinen Wieſenknopf, den Knollenknöterih, den betäubenden Kälberkropf und den Sturmhut. Letterer gilt ihnen, wie die Tunguſen ſagen, als Feſtgericht; ſie berauſchen ſi< damit. Alle Wurzeln werden ſorgfältig gereinigt, in fingerlange Stücke zerbiſſen und aufgehäuft. Nirgends wird das Gewerbe dieſer Tiere dem Menſchen ſo nüßlih wie in Dawurxien und in anderen Gegenden des öſtlichen Sibirien. Die heidniſchen Völker, welche keinen A>erbau haben, verfahren dort mit ihnen wie unbillige Edelleute mit ihren Bauern. Sie heben die Schäße im Herbſte, wenn die Vorratskammern gefüllt ſind, mit einer Schaufel aus, leſen die betäubenden weißen Wurzeln aus und behalten die ſhwarzen des Wieſenknopfes, welche ſie niht bloß als Speiſe, ſondern auh als Thee gebrauchen. Die armſeligen Landſaſſen haben an dieſen Vorräten, welche ſie den Mäuſen abnehmen, oft den ganzen Winter zu eſſen; was übrigbleibt, wühlen die wilden Schweine aus, und wenn ihnen dabei eine Maus in die Quere kommt, wird dieſe natürlih auh mit verzehrt.“

Merkwürdig iſt die große Wanderluſt dieſer und anderer verwandter Wühlmäuſe. Zum Kummer der Eingeborenen machen ſie ſi<h in manchen Frühjahren auf und ziehen heerweiſe nah Weſten, immer geraden Weges fort, über die Flüſſe und auh über die Berge weg. Tauſende ertrinken und werden von Fiſchen und Enten verſchlungen, andere Tauſende von Zobeln und Füchſen gefreſſen, welche dieſe Züge begleiten. Nach der Ankunft am