Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Lemming: Gebaren. Fortpflanzung. Nahrung. 547

wenn ſie auh merken, daß ſie hier nichts ausrihten können. Manche biſſen ſi ſo feſt in meine Beinkleider ein, daß ih ſie kaum wieder abſchütteln konnte. Bei ſolhen Kämpfen geraten ſie in große Wut und ähneln dann ganz den bösartigen Hamſtern. Wenn man ihnen ret raſh auf den Leib kommt, laufen ſie rü>wärts mit aufgerihtetem Kopfe, ſolange der Weg glatt iſt, und quieken und grunzen dabei nac Leibeskräſten ; ſtoßen ſie aber auf ein Hindernis, ſo halten ſie wieder tapfer und mutig ſtand und laſſen ſi lieber fangen, als daß ſie ſi< durch einen kleinen Umweg freizumachen ſuchten. Zuweilen ſpringen ſie mit kleinen Säßen auf ihren Gegner los, ſcheinen ſi< überhaupt vor keinem Tiere zu fürchten, ſondern tolldreiſt jedem Geſchöpfe entgegenzutreten. Fn den Straßen werden viele überfahren, weil ſie ſih trogig in den Weg ſtellen und nicht weihen wollen. Die Hunde auf den Höfen beißen eine Menge tot, und die Katzen verzehren wahrſcheinlich ſo viele, daß ſie immer ſatt ſind; wenigſtens könnte ih mix ſonſt niht erklären, daß die Kaßen der Poſtwechſelſtelle Fogstuen auf dem Dovrefjelò ganz ruhig neben den Lemmingen vorübergehen, ohne ſi um ſie zu bekümmern. Jm Winter ſchürfen ſie ſi, wie bemerkt, lange Gänge in den Schnee, und in dieſen hinein bauen ſie ſi< auch, wie ih bei der Schneeſchmelze bemerkte, große, dickwandige Neſter aus zerbiſſenem Graſe. Die Neſter ſtehen etwa 20—80 cm über dem Boden, und von ihnen aus führen lange Gänge nah mehreren Seiten hin dur den Schnee, von denen die meiſten ſi bald bis auf die Moosdecke herabſenken und dann, wie die Gänge unſerer Wühlmäuſe, halb zwiſchen dem Mooſe und halb im Schnee weitergeführt werden. Aber die Lemminge laufen auh auf dem Schnee umher oder ſeßen wenigſtens über die großen Schneefelder in der Höhe des Gebirges.

Zhre Jungen werden nah Verſicherung meines alten Jägers in den Neſtern geworfen, welche ſie bewohnen. Mir ſelbſt glückte es niht, ein Neſt mit Jungen aufzufinden, und faſt wollte es mir ſcheinen, als gäbe es zur Zeit meines Aufenthaltes auf dem Dovrefjeld noh gar keine ſolchen. Linné ſagt, daß die Tiere meiſtens 5—6 Junge hätten, und Scheffer fügt hinzu, daß ſie mehrere Male im Jahre werfen. Weiteres iſt mir über ihre Fortpflanzung niht bekannt.

Die Hauptnahrung der Lemminge beſteht aus den wenigen Alpenpflanzen, welche in ihrer armen Heimat gedeihen, namentli<h aus Gräſern, Renntierflehten, den Käßchen der Zwergbirke und wahrſcheinlih auch aus allerlei Wurzeln. Lemminge finden ſih ebenſo hoch, wie die Flehtende>e reiht, und nirgends da, wo ſie fehlt: dies deutet darauf hin, daß dieſe Pflanzen wohl den Hauptteil ihrer Mahlzeiten bilden dürften. Soviel ih erfuhr, tragen ſie ſi nichts für den Winter ein, ſondern leben auc dann von dem, was ſie unter der di>en Schneedecke finden, zumal von den Knoſpen der bede>ten Geſträuche. Großen Schaden bringen ſie niht; denn da, wo ſie wohnen, gibt es keine Felder, und in die Häuſer kommen ſie auh niht herein. Wenn ſie ſi< wirkli einmal in den Höfen ſehen laſſen, iſt das wohl nur Zufall: ſie haben ſi bei einer ihrer Luſtwandlungen verirrt. Doch ſagte mix ein Bewohner der Lofoten, daß die Kartoffelfelder in manchen Jahren von den Lemmingen gebrandſhaßt würden. Die Tiere wühlen ſi< lange Gänge in den Aker und bauen ſih ihre Höhlen unmittelbar zwiſchen die Wurzelknollen, von denen ſie dann in aller Gemächlihkeit leben. Ihre Heimat iſt übrigens, ſo arm ſie auh ſcheinen mag, rei genug für ihre Anſprüche und bietet ihnen alles, was ſie bedürfen. Nur in manchen Fahren ſcheint dies niht der Fall zu ſein; dann ſehen ſi<h die Lemminge genötigt, Wanderungen anzuſtellen.

J< muß bei Erwähnung dieſer allbekannten Thatſache hervorheben, daß die Leute auf dem Dovrefjeld niht das geringſte von den Wanderungen wußten, und daß die Bewohner Lapplands mir ebenſowenig darüber ſagen konnten. Auch Finnländer, welche ih fragte, wußten nichts, und wäre nicht Linné der Gewährsmann für die bezüglichen Angaben, ih würde ſie kaum der Erwähnung wert halten. Aus dem Linnéſchen Berichte ſcheint übrigens

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