Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Stachelſhwein: Fortpflanzung. Familienleben. Jagdweiſe. 563

ſein: eine einzige Bewegung aber, und das alte Spiel beginnt von neuem. Da bringt der Wärter Futter, Brot oder Rüben. Sie ergreift ein Stü> Brot mit den Zähnen, trägt es ihren Jungen zu, welche bisher, dumm in die Weite gloßend, den Ereigniſſen zugeſchaut und höchſtens bei der Flucht nah hinten ihre ſtummelhaften Stacheln zu ſträuben verſucht hatten, legt es vor jenen auf den Boden und hält es mit beiden Vorderfüßen feſt. Die Jungen laſſen fi< niht lange nötigen, ſondern beginnnen ſofort knabbernd ihr Mahl; cines aber unterbricht dieſes, und nah der Muttermilch verlangend, nähert es ſich der erbſengroßen Bruſtziße, welche von ungefähr 2 em langen, ſtrahlenförmig dem Leibe anliegenden, gelbbraun und ſhwarz gefärbten Stacheln umgeben iſt, und ſaugt mit kräftigen Zügen. Noch immer traut die ſorgende Alte dem Beſchauer niht und bekundet dies bei jeder ſeiner Bewegungen in der geſchilderten Weiſe; endlih aber gelangt ſie doh zu der Überzeugung, daß ihren Sproſſen keinerlei Gefahr drohe, und nun bringt ſie dieſe in den Vordergrund des Behälters. An jeder Seite der langſtacheligen Mutter hängt eines der kurzbeſtachelten Jungen, ohne die einmal gefaßte Ziße loszulaſſen; denn die Kleinen geben ſih mit ganzer Seele dem Genuſſe hin, und nur die Mutter zeigt auch jezt no< einige Unruhe. Endlich löſen ſih die Jungen, verſuchen ſchüchtern auh ihrerſeits Bekanntſchaft mit dem Fremdlinge anzuknüpfen, erſchre>en über irgend welche Bewegung desſelben, eilen, durch eigenartige Kopfbewegungen, dur<h Schnauben und Naſſeln der Alten gewarnt, im vollen Laufe der Tiefe des Käfigs zu und gewinnen glü>li<h das dort für ſie gebettete Strohlager; die Alte folgt raſſelnd, ſhnaubend und ſtampfend nach, de>t ſie mit ihrem eigenen Leibe und bekundet fortan für geraume Zeit ein tieferes Mißtrauen als je.“

Man ftann eigentlich nicht ſagen, daß das Stachelſhwein dem Menſchen Schaden bringe; denn es iſt nirgends häufig, und die Verwüſtungen, welche es zeitweilig in den ſeiner Höhle nahegelegenen Gärten anrichtet, kommen faum in Betracht. Da, wo es lebt, hält es ſih in Einöden auf und wird deshalb ſelten läſtig. Gleihwohl verfolgt man es eifrig. Die Stacheln finden vielfahe Anwendung, und auch das Fleiſch wird hier und da benußt. Man fängt den ungeſchi>ten Wanderer entweder in Schlagfallen, welche man vor ſeiner Höhle auſſtellt, oder läßt ihn durch eingeübte Hunde bei ſeinen nähtlihen Ausgängen feſt machen und nimmt ihn einfa<h vom Boden auf oder tötet ihn vorher mit einem Schlage auf die Naſe. Jn der römiſchen Campagna gilt ſeine Jagd als ein beſonderes Vergnügen; es läßt ſi auh gar niht leugnen, daß die Art und Weiſe, wie man dem Tiere hier nachſtellt, etwas Abſonderliches und Anziehendes hat. Das Stachelſhwein legt ſeine Höhlen am liebſten in den tiefen Gräben an, welche die Campagna dur<furhen, und ſtreift, wenn es zur Nachtzeit ausgeht, ſelten weit umher. Fn dunkler Nacht nun zieht man mit gut abgerichteten Hunden zur Jagd hinaus, bringt dieſe auf die Fährte des Wildes und läßt ſie ſuchen. Ein lautes, zorniges Bellen verkündet, daß ſie einem der Stachelhelden auf den Leib gerü>t find, und zeigt zugleich die Gegend an, in welcher der Kampf zwiſchen beiden ſtattfindet falls man überhaupt von Kampf reden kann. Jett zünden alle Fäger bereit gehaltene Fa>eln an und nähern ſi< damit dem Schauplaze. Sobald die Hunde die Ankunft ihrer Herren bemerken, heulen ſie laut vor Freude und gehen wütend auf ihren Widerpart los. Das Stachelſchwein ſeinerſeits ſucht ſie zurüczutreiben, indem es in allen Tonarten raſſelt, grunzt und knurrt und ſich ſoviel wie möglih dur ſeine nah allen Seiten abſtehenden Speere zu ſhüßen ſucht. Schließlich bildet die Fagdgenoſſenſchaft einen Kreis um das Tier und ſeine Verfolger, und bei der grellen Beleuchtung der Fa>eln wird es leiht, es in der vorher angegebenen Weiſe zu bewältigen und entweder zu töten, oder lebend mit nah Hauſe zu nehmen.

Ftaliener ziehen mit ſolchen gezähmten Tieren von Dorf zu Dorf, wie die Savoyarden mit den Murmeltieren, und zeigen das auffallende Geſchöpf dort für Geld. Bei nur geringer

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