Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

564 Siebente Drdnung: Nager; neunte Familie: Stachelſhweine.

Pflege iſt es leiht, das Stachelſhwein 8—10 Jahre lang in der Gefangenſchaft zu erhalten. Man kann ſogar ein Beiſpiel aufführen, daß es 18 Jahre lang aushielt. Wenn man es gut behandelt, wird es auch leiht zahm. Jung eingefangene lernen ihre Pfleger kennen und folgen ihnen nah wie ein Hund. Die dem Tiere angeborene Furchtſamkeit und Scheu kann es jedo< niemals ablegen, und oft bekundet es über die unſchädlihſten Dinge Angſt und S<hre>en und raſſelt na< Kräften mit dem Panzer. Mißhandlungen erträgt es niht, wie es überhaupt leiht in Zorn gerät. Über einen jüngſt im Frankfurter Garten durch ein wütendes Stachelſhwein begangenen Gattenmord berichtet Haa>e: Unſere Stachelſhweine hatten ſhon ſeit Fahr und Tag friedli< miteinander gelebt, als mir der Wärter eines Tages berichtete, daß das Männchen das Weibchen heftig verfolge und zu beißen ſuche. Obwohl das Weibchen einige Wunden aufwies und viele Stacheln verloren hatte, ſi<h au< niht in die Nähe des Männchens wagte, ließ ih die Tiere beiſammen, weil i< glaubte, daß das Weibchen brunftig ſei, vorerſt aber no< ſpröde thue und dadur< den Zorn des Männchens heraufbeſ<hworen habe, den es, wie ih hoffte, mit der Zeit ſhon zu beſ<wi<htigen wiſſen werde. Meine Hoffnung erwies ſi aber als trügeriſ<h. An einem der folgenden Morgen trug das Weibchen eine handgroße Wunde auf dem Rücken, auf deren Grunde die Eingeweide hervorzuquellen drohten. Fett ließ ih es von dem wütenden Männchen trennen; am Tage darauf war es tot. Ob die Wut des Männchens wirkli<h dur<h ungeſtillten Geſ<hle<htstrieb hervorgerufen war, vermag ih niht zu ſagen.“

Möhren, Kartoffeln, Salat, Kohl und andere Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung des Stachelſhweines in der Gefangenſchaft; am liebſten frißt es aber Obſt. Waſſer kann es, wenn es ſaftige Früchte oder Blätter zu freſſen hat, gänzlich entbehren; bei troœener Nahrung trinkt es, wenn auh niht oft. Man kann eben niht behaupten, daß das Tier ein gemütlicher Geſellſchafter des Menſchen wäre. Jn der Stube iſt es kaum zu halten. Es läuft ohne Verſtand umher und verlebt einen wohl auh ab und zu mit den Stacheln, benagt Tiſchbeine, Thüren und anderes Holzwerk und bleibt immer ein langweiliger Geſell. Am hübſcheſten macht es ſih, wenn man ihm einen eigenen Stall aus Steinen errichtet, wie es gegenwärtig in den Tiergärten geſchieht. Hier baut man ihm eine künſtliche Felſenhöhle, und davor legt man einen gepflaſterten, mit Gittern umhegten Plag an. Einen gewöhnlihen Käfig durchnagt es ſehr bald, auh wenn ex innen mit Vle ausgeſchlagen ſein ſollte; denn ſeine Zähne ſind ſo kräftig, daß es mit ihnen ſelbſt ſtarke Drahtſtäbe zerbricht. Bei Tage ſchläft es im Jnneren ſeiner Wohnung, abends kommt es heraus, knurrend, raſſelnd, Nahrung begehrend. Da gewöhnt es ſi bald daran, aus der Hand der Beſuchenden zu freſſen, und bildet deshalb einen Gegenſtand der Anziehung für viele Leute, welche ſih gern mit ihm beſchäftigen. Hier kann man auh beobachten, daß es niht in allen Stücken ſo plump und ungeſchi>t iſt, wie es ausſieht. Es pa>t alle Nahrung hübſch mit den Vorderſüßen, verſteht es ganz gut, eingewi>elte Stoffe zu enthülſen und zu verwerten, kna>t niedlih Nüſſe auf, nimmt artig ein Stückchen Zu>ker 2c.

Jn alter Zeit ſpielte eine vom Stachelſhweine ſtammende Bezoarkugel in der Arzneiwiſſenſchaft eine wihtige Nolle. Sie galt als ein untrügliches Heilmittel für mancherlei hartnä>ige Krankheiten und wurde oft wegen ihrer Seltenheit mit 100 Kronen bezahlt. Dieſe Kugeln, unter den Namen „Piedra del Porco“ bekannt, kamen aus Oſtindien von dem dort lebenden Stachelſhweine, waren ſ{hmierig anzufühlen und hatten einen außerordentlih bitteren Geſhma>, welcher die damaligen Ärzte hinlänglich zu berechtigen ſchien, von ihnen Großes zu erwarten.

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Die Quaſtenſtahler (Atherura) muß man wegen ihres längeren und deshalb

urſprünglichere Verhältniſſe zeigenden Schwanzes ſowie wegen des weniger entwidelten