Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

568 Siebente Drdnung: Nager; neunte Familie: Stachelſhweine.

darf mit ziemlicher Sicherheit re<hnen, ihn monatelang alltäglich in derſelben Baumhöhlung zu finden, welche er ſih einmal zum Schlafplaße erwählt hat. Einen Winterſchlaf hält er niht; doch iſt es wahrſcheinlih, daß er ſi<h während der kälteſten Wintertage in gedachte Schlupfwinkel zurüczieht.

Jn ſolchen Baumlöchern oder in Felſenhöhlen findet man au< das Neſt und in ihm im April oder Mai die Jungen, gewöhnlich 2 an der Zahl, ſeltener 3 oder 4. Wie uns der Prinz von Wied mitteilt, glauben die Jndianer, daß die Mutter keine Zigen habe, alſo ihre Fungen niht ſäugen könne und infolgedeſſen genötigt ſei, ſie ſofort nah ihrer Geburt von ſich zu treiben und ſomit zu zwingen, vom erſten Tage ihres Lebens an die harte, nagende Arbeit zu beginnen.

Die Jungen, welche aus dem Neſte genommen und in Gefangenſchaft gehalten werden, gewöhnen ſih bald an ihren Herrn und an die Umgebung. Man ernährt ſie mit allerhand Pflanzenſtoſſen, auh verzehren ſie Brot ſehr gern. Wenn man ſie im Garten frei umherlaufen läßt, beſteigen ſie die Bäume und freſſen hier Schale und Blätter. Audubon erzählt, daß ein von ihm gepflegter Urſon nur dann ſih erzürnt habe, wenn man ihn von einem Baume des Gartens, den ex regelmäßig beſtieg, entfernen wollte. „Unſer Gefangener war nah und nah ſehr zahm geworden und machte ſelten von ſeinen Nägeln Gebrauch, konnte deshalb au< gelegentlih aus ſeinem Käfige befreit und der Wohlthat eines freien Spazierganges im Garten teilhaftig gemacht werden. Er ftannte uns; wenn wir ihn riefen und ihm eine ſüße Kartoffel oder einen Apfel vorhielten, drehte er ſein Hauvt langſam gegen uns, bli>te uns mild und freundli<h an, ſtolperte dann langſam herbei, nahm die Frucht aus unſerer Hand, richtete ſih auf und führte dieſe Nahrung mit ſeinen Pfoten zum Maule. Dft kam er, wenn er die Thür geöffnet fand, in unſer Zimmer, näherte ſih uns, rieb ſi< an unſeren Beinen und bli>te uns bittend an, um irgend eine ſeiner Le>ereien zu erlangen. Vergeblich bemühten wir uns, ihn zu erzürnen: er gebrauchte ſeine Stacheln niemals gegen uns. Anders war es, wenn ein Hund ſi< näherte. Dann ſezte er ſi augenbli>li< in Verteidigungszuſtand. Die Naſe niederwärts gebogen, alle Stacheln aufgerichtet und den Shwanz hin und her bewegend, zeigte er ſich fertig zum Kampfe.

„Ein großer, wütender, im höchſten Grade ſtreitluſtiger Bullenbeißer aus der Nahbarſchaft hatte die Gewohnheit, ſih unter der Umzäunung unſeres Gartens dur<hzugraben und hier von Zeit zu Zeit ſeine unerwünſchten Beſuche zu machen. Eines Morgens ſahen wir ihn in der Ee des Gartens einem Gegenſtande zulaufen, welcher ſi<h als unſer Urſon erwies. Dieſer hatte während der Nacht einen Ausflug aus ſeinem Käfig gemacht und trollte no< gemütli<h umher, als der Hund ſi zeigte. Seine gewöhnlihe Drohung ſcien den Bullenbeißer niht abzuhalten; vielleicht glaubte dieſer auh, es mit einem Tiere zu thun zu haben, wel<hes niht ſtärker als eine Kate ſein könne: furz, er ſprang plößlih mit offenem Maule auf den Gewappneten lo3. Der Urſon ſchien in demſelben Augenbli>ke auf das Doppelte ſeiner Größe anzuſhwellen, beobahtete den ankommenden Feind ſcharf und teilte ihm rechtzeitig mit ſeinem Schwanze einen ſo wohlgezielten Schlag zu, daß der Bullenbeißer augenbli>li< ſeinen Mut verlor und ſhmerzgepeinigt laut aufſhrie. Sein Maul, die Zunge und Naſe waren bede>t mit den Stacheln ſeines Gegners. Unfähig, die Kinnladen zu ſchließen, floh er mit offenem Maule unaufhaltſam über die Grundſtücke. Wie es ſchien, hatte ex eine Lehre für ſeine Lebenszeit erhalten; denn nichts konnte ihn ſpäter zu dem Plaßbe zurü>bringen, auf welhem ihm ein ſo ungaſtlicher Empfang bereitet worden war. Obgleich die Leute ihm ſofort die Stacheln aus dem Munde zogen, blieb der Kopf doh mehrere Wochen lang geſhwollen, und Monate vergingen, bevor die Schnauze geheilt war.“

Der Prinz von Wied fing einen Urſon am oberen Miſſouri. „Als wir ihm nahe kamen“, ſagt er, „ſträubte das Tier die langen Haare vorwärts, bog ſeinen Kopf unterwärts,