Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Urſon: Fortpflanzung. Verteidigung. Gefangenleben. 569

um ihn zu verſte>en, und drehte ſi dabei immer im Kreiſe. Wollte man es angreifen, ſo fugelte es ſi< mit dem Vorderleibe zuſammen und war alsdann wegen ſeiner äußerſt \{arfen, ganz lo>er in der Haut befeſtigten Stacheln nicht zu berühren. Kam man ihm ſehr nahe, ſo rüttelte es mit dem Shwanze hin und hex und rollte ſich zuſammen. Die Haut iſt ſehr weih, dünn und zerbre<hlih, und die Stacheln ſind in ihr ſo loſe eingepflanzt, daß man ſie bei der geringſten Berührung in den Händen ſ{hmerzhaſt befeſtigt findet.“

Von der Wahrheit vorſtehender Angaben Audubons und des Prinzen von Wied belehrte mich ebenſo empfindlih wie überzeugend ein Urſon, welchen Finch für mich in Nordamerika angekauft und mir überbracht hatte. Dieſer war verhältnismäßig gezähmt und gutmütig, wie alle Verwandten aber reizbar in hohem Grade und dann jederzeit geneigt, auch Bekannten einen Sthlag zu verſeßen. Während er ſonſt zuſammengekauert mit glatt angelegten Stacheln und Haaren auf ſeinem Plate ſaß, ſträubte er bei irgend welcher Erregung ſofort die Haut der ganzen Oberſeite, ſo daß alle Stacheln ſih aufrihteten und ſichtbar wurden, legte auch gleichzeitig den breiten abgeplatteten Schwanz zum Schlage zure<t. Zu gunſten der Leſer dieſes Werkes ſollte er von Müßel gezeichnet werden und wurde zu dem Ende aus ſeinem Käfige herausgenommen und auf einen Baumſtamm geſeßt, um ihm Gelegenheit zu geben, ungezwungene Stellungen anzunehmen. Nach einigem Sträuben ſaß er ganz ruhig. Jh ſtreichelte ihn mit der Hand am Kopfe; er knurrte zwar, erhob jedo< die Stacheln des Nü>ens niht. J< ging weiter, unterſuchte die Weichheit ſeines wolligen Felles auh hier und kam ſo nah und nach mit der Hand bis an die Schwanzſpiße; kaum aber berührte ih dieſe, ſo ſhlug er ſchnell den breiten Plattſhwanz von unten nach oben, und ein ſtehender Schmerz in meinen Fingerſpißen belehrte mi, daß ſeine Abwehr nur zu gut geglü>t war. Achtzehn Stacheln waren ſo tief in meine Fingerſpißen eingedrungen, daß ih ſelbſt niht im ſtande war, ſie herauszuziehen, vielmehr Müßel bitten mußte, mir zu Hilfe zu kommen. Von nun an wurden fernere Verſuche nur mittels eines Stökchens ausgeführt und dabei bemerkt, daß der Schlag mit dem Shwanze heſtig genug war, um die Stacheln auch in das harte Holz des Verſuchſtäbchens einzutreiben. Bedenkt man, daß der ganze Unterrü>en mit ebenſo feinen Stacheln wie der Schwanz bede>t iſt und lebterer gegen den Unterrü>en geſ<lagen wird, ſo iſt wohl zu begreifen, daß es nicht leiht eine zwe>dienlichere Bewaffnung geben kann, als der Urſon ſie beſißt. Wehe dem unglüdklihen Naubtiere, welches mit ſeiner Schnauze oder au< nur mit einer ſeiner Pranken zwiſchen dieſe beiden natürlichen, im re<hten Augenbli>e gegeneinander klappenden Hecheln gerät: es iſt, wie der von Audubon erwähnte Hund, beſtraft für immer!

Abgeſehen von dieſem Schwanzſchnellen vermochte der Urſon mir wenig Teilnahme einzuflößen. Still und langweilig ſaß er am Tage auf einer und derſelben Stelle, ein dier Kugelballen ohne Bewegung und Leben. Evſt nah Sonnenuntergang gefiel er ſich, ein wenig im Käfige umherzuklettern. Obwohl hierin keineswegs ungeſchi>kt, bewegte er ſih doh weder mit Sicherheit, noh au<h mit der Gewandtheit der Greifſtachler, bewies vielmehr eine ähnliche Haſt, wie die Bodenſtachelſhweine ſie beim Laufen zeigen. Ein höchſt unangenehmer Geruch, welcher dem von Greifſtachlern ausgehenden entſchieden ähnli<h war, verſtänkerte den Käfig und machte das Tier auch denen widerwillig, welche es mit Teilnahme betrachteten. An die Nahrung ſtellt der Urſon keine Anſprüche, und ſeine Haltung verurſacht deshalb feine Schwierigkeiten; doh verträgt er größere Hiße niht. „Als der Frühling vorſchritt“ berichtet Audubon, „überzeugten wir uns, daß unſer armes Stachelſhwein nicht für warme Länder geſchaffen war. Wenn es heiß wurde, litt es ſo, daß wir es immer in ſeine fanadiſhen Wälder zurückwünſchten. Es lag den ganzen Tag über keuchend in ſeinem Käfige, ſchien bewegungslos und elend, verlor ſeine Freßluſt und verſ<hmähte alle Nahrung. Schließlich brachten wir es nah ſeinem geliebten Baume, und hier begann es auch ſofort,