Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Feldhaſe: Lager. Bewegung. Geiſtiges Weſen. Kämpfe. 625

großen Säßen. Beim Entfliehen hat er die Cigentümlichkeit, daß er ohne beſonderen Grund in einiger Entfernung von ſeinem Lager einen Kegel matt, d. h. die Stellung eines auf re<t ſizenden Hundes annimmt; iſt er dem ihm nacjagenden Hunde ein Stück voraus, ſo ſtellt ex ſi niht nux auf die vollſtändig ausgeſtre>ten Hinterläufe, ſondern geht au<h wohl ſo ein paar Schritte vorwärts und dreht ſi<h nah allen Seiten um. Gewöhnlich gibt er nur dann einen Laut von ſi, wenn er ſi in Gefahr ſieht. Dieſes Geſchrei ähnelt dem kleiner Kinder und wird mit „Klagen“ bezeichnet.

Unter den Sinnen des Haſen iſt, wie ſchon die großen Löffel ſchließen laſſen, das Gehör am beſten ausgebildet, der Geruh ret gut, das Geſicht aber ziemli<h ſ{<wa<. Unter ſeinen geiſtigen Eigenſchaften ſteht eine außerordentlihe Vorſicht und Aufmerkſamkeit obenan. Der leiſeſte Laut, den er vernimmt, der Wind, welcher durch die Blätter ſäuſelt, ein rauſchendes Blatt genügen, um ihn, wenn er ſchläft, zu erwe>en und im hohen Grade aufmerkſam zu machen. Eine vorüberhuſchende Eidechſe oder das Quaken eines Froſches kann ihn von ſeinem Lager verſcheuchen, und ſelbſt wenn er im vollſten Laufe iſt, bedarf es nur eines leiſen Pfeifens, um ihn aufzuhalten. Die berühmte Harmloſigkeit des Haſen iſt nicht ſo weit her. Dietrich aus dem Win>ell ſagt geradezu, daß das größte Laſter des Haſen ſeine Bosheit ſei, niht weil er dieſelbe dur<h Kraßen und Beißen äußere, ſondern weil ſie der Saßzhaſe dur Verleugnung der elterlichen Liebe. der Rammler aber dur< Grauſamkeit gegen junge Häschen, oft in der empörendſten Weiſe, bethätige.

Die Rammelzeit beginnt nah harten Wintern Anfang März, bei gelinden ſ{hon im Februar, ſelbſt im Januar, im allgemeinen um ſo eher, je mehr der Haſe Nahrung hat. „Zu Anfang der Begattungszeit“, ſagt unſer Gewährsmann, „ſ{<hwärmen unaufhörlih Rammler Häſinnen ſuchend, umher und folgen ihren Spuren, gleich den Hunden, mit zur Erde geſenkter Naſe. Sobald ein Paar ſi< zuſammenfindet, beginnt die verliebte Ne>erei durch Kreislaufer und Kegelſchlagen, wobei anfangs der Sagthaſe immer der vorderſte iſt. Aber nicht lange dauert es, ſo fährt dieſer an die Seite, und ehe der Nammlex es verſieht, gibt ihm die äußerſt gefällige Schöne Anleitung, was er thun ſoll. Jn möglichſter Eile bemüht ſi< nun der Rammler, ſeine Gelehrigkeit thätlih zu erweiſen, iſt aber dabei ſo ungezogen, im Augenbli>e des höchſten Entzückens mit den ſcharfen Nägeln der Geliebten große Klumpen Wolle abzureißen. Kaum exrbli>en andere ſeines Geſchlechtes den Glücklichen, ſo eilen ſie heran, um ihn zu verdrängen oder wenigſtens die Freude des Genuſſes zu verderben. Anfänglich verſucht es jener, ſeine Schöne zur Flucht zu bewegen; aber aus Gründen, welche ſih aus der unerſättlichen Begier derſelben erklären laſſen, zeigt ſie nur ſelten Luſt dazu, und ſo hebt jezt ein neues Schauſpiel an, indem die Häſin von mehreren Bewerbern verfolgt und gene>t, endlih von dem behendeſten, welcher ſi<h den Minneſold nicht leicht entgehen läßt, eingeholt wird. Daß unter ſolhen Umſtänden nicht alles ruhig abgehen kann, verſteht ſih von ſelbſt. Eiferſucht erbittert auh Haſengemüter, und ſo entſteht ein Kampf, zwar niht auf Leben und Tod, aber höchſt luſtig für den Beobachter. Zwei, drei und mehrere Nammler fahren zuſammen, rennen aneinander, entfernen ſih, machen Kegel und Männchen, fahren wieder aufeinander los und bedienen ſi< dabei mit in ihrer Art ganz kräftigen Ohrfeigen, ſo daß die Wolle umherfliegt, bis endlih der Stärkſte ſeinen Lohn em pfängt, oder noh öfters ſih betrogen fühlt indem ſih das Weibchen mit einem der Streiter oder gar mit einem neuen Ankfömmlinge unbemertt entfernt hat, gewiß überzeugt, daß auch die Hintergangenen nicht unterlaſſen werden, fremden Reizen zu huldigen, ſobald ſi< Gelegenheit dazu findet.“

Glaubwürdige Jäger verſichern, daß dieſe Zweikämpfe zwiſchen verliebten Haſen, ſo unſchuldig ſie auh ausſehen, zuweilen doh nicht ohne Verlegungen abgehen, weil ſie niht ſelten auf ihrem Reviere erblindete Haſen angetroffen haben, denen bei ſolhen Kämpfen

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. II. 40

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