Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

626 Siebente Ordnung: Nager; dreizehnte Familie: Haſen.

die Lithter verwundet wurden. Gelegentlich wird auh eine Häſin ſo ernſthaft mißhandelt, daß ſie lange kümmert oder ſogar verendet. Die abgekraßte Wolle, welche auf den Kampf: pläßen umherliegt, dient dem Jäger als Zeichen, daß die Rammelzeit wirklih angebrochen iſt, und in beſonders milden Fahren wird ſi< jeder Tierfreund in aht nehmen, nunmehr noh auf das Wild zu jagen.

Dreißig Tage etwa geht die Häſin tragend. Gewöhnlich ſebt ſie zwiſchen Mitte und Ende des März das erſte, im Auguſt das vierte und lezte Mal. Der erſte Sag beſteht aus 1 oder 2, der zweite aus 3—4, der dritte aus 3 und der vierte wiederum aus 1—2 Jungen; in ganz ungewöhnlichen Fällen umfaßt ein Saß auf einmal 5 und mehr Junge. Höchſt ſelten und nur in ſehr günſtigen Jahren geſchieht es, daß eine Häſin fünfmal fegt. Das Wochenbett iſ eine höchſt einfache Vertiefung an einem ruhigen Orte des Waldes oder Feldes: ein Miſthaufe, die Höhlung eines alten Sto>es, angehäuftes Laub oder auch ein bloßes Lager, eine tiefe FurŸhe, ja endlich der flahe Boden an allen Orten. Die Fungen fommen mit offenen Augen und jedenfalls ſhon ſehr ausgebildet zur Welt. Manche Jäger ſagen, daß ſie ſofort nah der Geburt ſi ſelbſt tro>nen und puten müſſen. So viel iſt ſicher, daß die Mutter nur während der erſten 5—6 Tage bei ihren Kindern verweilt, dann aber, neuer Genüſſe halber, ſie ihrem Schi>ſale überläßt. Nur von Zeit zu Zeit kommt ſie an den Ort zurü>, wo ſie die kleine Brut ins Leben ſeßte, lo>t ſie dur ein eigentümliches Geflapper mit den Löffeln und läßt ſie ſaugen; jedenfalls muß ſie aber doch für ihre Fungen ſorgen, denn ohne ſie würden die hilfloſen Tierchen elend zu Grunde gehen. Bei Annäherung eines Feindes verläßt ſie freilich ihre Kinder, obwohl auh Fälle bekannt ſind, Daß alte Häſinnen die Brut gegen Raubvögel und Raben verteidigt haben. Von dem erſten Saße gehen die meiſten Jungen zu Grunde: der Übergang aus dem warmen Mutterleibe auf die falte Erde iſt zu jäh; das kleine Geſchöpf erſtarrt und geht ein. Und wenn es wirklih auh das ſhwahe Leben noth friſtet, drohen ihm Gefahren aller Art, ſelbſt vom eigenen Vater. Der Rammler benimmt ſi< man<hmal wahrhaft abſcheulih gegen die jungen Häschen und peinigt ſie, wenn er kann, zu Tode.

Bei keinem anderen wild lebenden Tiere hat man ſo viel Mißgeburten beobachtet wie bei den Haſen. Solche, die zwei Köpfe oder wenigſtens eine doppelte Zunge haben, oder herausſtehende Zähne beſißen, ſind keine Seltenheiten.

Eine junge Haſenfamilie verläßt nur ungern die Gegend, in welcher ſie geboren wurde. Die Geſchwiſter entfernen ſi< wenig voneinander, wenn auch jedes ſi ein anderes Lager gräbt. Abends rü>en ſie zuſammen auf Äſung aus, morgens gehen ſie gemeinſchaftlich nach dem Lager zurü>, und ſo währt ihr Treiben, welches mit der Zeit ein recht fröhliches und friſches wird, fort, bis ſie halbwüchſig ſind. Dann trennen ſie ſih voneinander. Nach 15 Monaten ſind ſie erwachſen, ſchon im erſten Lebensjahre aber zur Fortpflanzung geeignet. Die höchſte Lebensdauer, welche der Haſe bei uns erreicht, dürften 7—8 Fahre ſein; es fommen aber Beiſpiele vor, daß Haſen allen Nachſtellungen noh längere Zeit entgehen und immer noh niht an Altersſ<hwäce ſterben. Jm erſten Viertel dieſes Fahrhunderts war in meiner Heimat ein Nammler berüchtigt unter den Jägern: mein Vater kannte ihn ſeit 8 Jahren. Stets war es dem Schlaukopfe gelungen, ſih allen Nachſtellungen zu entziehen; erſt während eines ſehr ſtrengen Winters wurde er von meinem Bater auf dem Anſtande erlegt. Beim Wiegen ergab ſi, daß er ein Gewicht von 9 kg erreiht hatte.

„Das Leben unſeres Nagers“, ſagt Adolf Müllex, „iſt faſt eine ununterbrochene Kette der Drangſal, der Not und des Leidens, denen die Geſchwiſter Wachſamkeit und Vorſicht zwar auf dem Fuße folgen, welhen aber auh das allbekannte, weniger bemitleidete als verſpottete Kind, die Haſenfurcht, gleihſam rieſig über den Kopf wächſt. Schi>kt doch das ganze Heer unſerer einheimiſchen Naubtiere unter Säugern und Vögeln die Spione,