Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

20 Neunt* Ordnung: Rüſſeltiere.

„Leute, welche mit dem Weſen der Elefanten nicht vertraut ſind, vermeinen oft in deren Handlungen die Folgen ſelbſtändiger Überlegung zu erkennen, während die Tiere doch bloß verrihten, was ihre Herren ſie bedeuten. Es gibt kaum eine feinere Beziehung zwiſchen Noß und Reiter, als zwiſchen einem Elefanten und dem Führer auf ſeinem Na>en. Ein hervorſtehender Zug im Weſen des abgerichteten Elefanten iſt eben ſeine Folgſamkeit und er verrichtet viele Dinge auf das leiſeſte Zeichen ſeines Reiters, deſſen Einwirkung gar nicht bemerkt wird von jemand, der niht eingeweiht iſt in die Künſte der Abrichtung. Dies hat zu Mißverſtändniſſen geführt, wie ſie auh Sir Emerſon Tennent untergelaufen ſind, wenn er, das Betragen zahmer Elefanten beim Einfangen wilder auf Ceylon \childernd, unter anderem ſagt: „Die gezähmten bewieſen das vollkommenſte Verſtändnis für alle Vorgänge, ſowohl für den Zwe>, der erſtrebt wurde, als auch für die Mittel ihn zu erreichen. Einſichtsvoll bemerkten ſie eine Schwierigkeit oder eine Gefahr und gingen ungeheißen daran, ihr vorzubeugen.“ So hoch verſteigen ſih die Gedanken derer, welche Elefanten bloß oberflähli<h kennen! Jch habe die exrleſenſten der abgerihteten Elefanten vom Fangbetriebe in Maiſur und Bengalen bei der Arbeit geſehen; ih ſelbſt habe mich ihrer unter den verſchiedenſten Verhältniſſen bedient, und dennoch kann ih verſichern, daß ih nit einen einzigen gefunden habe, der ſi fähig gezeigt hätte ſih mit einem unvorhergeſehenen Zwiſchenfalle ohne die Hilfe des Menſchen abzufinden.

„So viel über den Verſtand des Elefanten. Betrachten wir nun ſeine Gemütsſtimmung in der Gefangenſchaft. Jc denke, alle, welhe mit Elefanten zu thun haben, werden mir beiſtimmen, wenn ich ſage, daß ihre guten Eigenſchaften kaum überſchäßt werden können und daß üble bloß ausnahmsweiſe auſtreten. Unbegründet iſt der ziemlich verbreitete Glaube, daß Elefanten heimtü>iſ<h und ra<hſüchtig geſinnt ſeien. Die Männchen verfallen zeitweilig in den Zuſtand von Muſt, während deſſen man ſehr vorſichtig mit ihnen umgehen muß, da ſie gar niht bei Sinnen ſind; aber das Eintreten dieſes Zuſtandes kündigt ſich hinreihend lange vorher an. Zu allen anderen Zeiten iſt das Männchen vollſtändig ZUverläſſig und nur ſelten launiſh. Weibchen aber ſind allezeit ſo gutartig, wie irgend ein Tier ſein kann. Unter hunderten habe ih bloß zwei gekannt, die kißlige Eigenheiten beſaßen: das eine wollte keinen fremden Führer auf ſeinem Na>en tragen, und das andere duldete, mit Ausnahme ſeiner beiden Pfleger, keinen Eingeborenen in ſeiner Nähe. Des Elefanten beſte Cigenſchaften ſind Folgſamkeit, Sanftmut und Geduld. Jn dieſer Hinſicht wird ex von keinem Haustiere übertroffen, und ſelbſt unter ſehr widrigen Umſtänden: wenn er in der Sonnenglut ausharren oder ſ{hmerzhafte ärztliche Eingriffe ertragen muß, zeigt er ſelten irgend welche Reizbarkeit. Er weigert ſi< niemals, etwas zu thun, wenn er rihtig angeleitet wird, es ſei denn, daß er ſih fürchte. Der Elefant, der wilde wie der zahme, iſt übermäßig fur<htſam, und ſeine Furt wird dur irgend etwas Fremdartiges ſehr leiht erregt. Troßdem haben viele eine gute Anlage zum Mute, welche nur geſchi>t entwi>elt zu werden braut: dies beweiſt das Verhalten mancher Elefanten bei der Tigerjagd.“

Dieſe Furchtſamkeit bekunden wild lebende Elefanten bei allem, was ſie unternehmen: ob ſie nah Nahrung ſuchen, ob ſie zur Salzle>e, die ſie ſehr lieben, oder zur Tränke, zum Bade gehen, immer bewegen ſie ſih mit großer Vorſicht. Gewöhnlih baden ſie nur am Tage, es müßte denn ſehr drü>kende Wärme während der Nacht ſie einmal verlo>en, fi ins Waſſer zu begeben. Fn kühlen Nächten zögern ſelbſt gezähmte Tiere, Gewäſſer zu durhwaten, und ſuchen dann wenigſtens Nüſſel wie Shwänze tro>en zu erhalten. An der Tränke erſcheinen ſie in der Regel kurz nah Aufgang oder vor Untergang der Sonne, nur in der offenen Landſchaft, in der Steppe, nähern ſie ſih den vereinzelten Tümpeln oftmals erſt in der Dunkelheit. Ebenſo vorſichtig gehen ſie auf Nahrung aus, geben ſi aber, falls ſie ſich erſt von ihrer Sicherheit überzeugt haben, um ſo behaglicher der Mahlzeit hin. Sie

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