Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Kulan: Verbreitung. Aufenthalt. 61

Dſchiggetai und Kulan ein und dasſelbe Tier ſind. Schon Eversmann bezweifelt die artliche Verſchiedenheit beider Wildpferde; Radde ſtimmt ihm bei. A. Walter führt nach ſeinen der neueſten Zeit entſtammenden Erfahrungen an, daß Turkmenen, Kurden, Perſer, Tataren 2c. nicht zwei Arten von Wildeſeln unterſcheiden. Auf die in vielen Stücken abweichenden Beſchreibungen der genannten Tiere darf beſonderes Gewicht niht gelegt werden, auf die verſchiedene Länge der Ohren ebenſowenig; ſomit ergibt ſih, daß ganz Mittelaſien, vom Oſtabhange des ſüdlihen Ural an bis zum Himalaja und beziehentlih der mongoliſ<hchineſiſchen GS na< Weſten hin aber bis zu den perſiſhen Grenzgebirgen nur von einer einzigen Wildpferdeart bewohnt wird, und die zweite, eben der Dnager der Alten, auf Kleinaſien, Syrien und Paläſtina, Perſien und Arabien ſowie den Weſten der Dini Halbinſel beſchränkt ift.

Bis in die neuere Zeit blieb die von Pallas gegebene Schilderung des Dſchiggetai maßgebend für unſere Lebenskunde des Tieres; erſt ſeit Beginn der fünfziger Fahre erhielten wir wertvolle Bereicherungen der erſten Mitteilung. Gehaltvolle Beiträge danken wir Hodgſon, Adams, Hay, Eversmann, Radde, Severzow, A. Walter, Prſhewalski und A. Ruſinoff. Jh verſuche in na<hſtehendem, die verſchiedenen Angaben zuſammenzufaſſen, und gebe damit ein faſt exſhöpfendes Lebensbild der wahrſcheinlihen Stammart des Pferdes.

Der Dſchiggetai oder Kulan iſt ein Kind der Steppe. Obwohl mit Vorliebe in der Umgebung der Seen und Flüſſe hauſend, meidet er doh au< die dürren, waſſerloſen und wüſtenhaften Striche niht, und ebenſowenig ſcheut ex ſi< vor Gebirgen, vorausgeſeßt, daß auch ihrer die Steppe ſi<h bemächtigt hat, mit anderen Worten, daß ſie unbewaldet ſind. Hauptſächlih des verſchiedenen Aufenthaltes wegen glaubte man ſih bere<tigt, Dſchiggetai und Kiang zu unterſcheiden. Man hielt es für unmöglich, mindeſtens für unwahrſcheinlich, daß ein und dasſelbe Tier in den Tiefebenen und auf Hochgebirgen von mehr als 3000 m Höhe leben fönne: nah der Anſicht der Gebrüder Shlagintweit müßte ſogar der Kiang in den Tiefebenen unfehlbar zu Grunde gehen. Dieſe dur<h nichts unterſtübte Auffaſſung widerlegt am ſchlagendſten Prſhewalski, welcher zweifellos ein und dasſelbe Tier auf den Hochgebirgen Nordtibets wie auf den reihen Wieſen am Kuku-nor weiden ſah. Nicht die verdünnte Luft des Hochgebirgés noh die im Sommer glühende Sonnenhigze, im Winter eiſige Kälte der Tiefebenen, nicht die ſtehenden Schneeſtürme der Höhe, noch die vom Winde aufgewirbelten heißen Sandwolken der Tiefe ſind es, welche dem wettergeſtählten Tiere Schranken ſeßen in der Steppe: es iſt einzig und allein der Menſch, welcher ſein Vorkommen und Auftreten wenn nicht bedingt, ſo doch beeinflußt. Da, wo das weite Land noh nicht einmal dur<h ſ<hweifende Hirtenvölker beunruhigt wird, oder dort, wo der Wanderhirt mit ſeinen Herden regelmäßig hin und wider zieht, ſcheut er den Kulan; da, wo inmitten ergiebiger Weiden Stre>ken ſih breiten, welche ſo arm, ſo öde, ſo wüſtenhaft ſind, daß ſelbſt jener Vorläufer des ſeßhaften Menſchen ſie meidet: da findet ſih das ungebundene Freiheit verlangende Wildpferd ſicher.

Schon zu Pallas” Zeiten bemerkte man, E die Grenzwachten angelegt worden waren, innerhalb der ruſſiſchen Grenzen ſelten mehr ordentliche, von alten Hengſten geführte Herden, ſondern nur verlaufene oder abgejagte junge Hengſte oder einzelne Stuten. Heutzutage ſind die flüchtigen Tiere noh weiter zurücgedrängt, keineswegs aber innerhalb der inzwiſchen hinausgeſchobenen Grenzen des ruſſiſ<hen Reiches ausgerottet worden. Hart an der Grenzſcheide Europas fann man ihnen begegnen. Sie bevölkern no< gegenwärtig in namhafter Menge mehrere Gebiete von Akmolinsk bewohnen ferner einen Steppenſtreifen zwiſchen dem Altaigebirge und dem Saiſanſee und finden ſih von hier aus nah Oſten und Süden hin auf allen geeigneten Stellen im ſüdlichen Sibirien und Tuxkiſtan, wenn auh