Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

88 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

weshalb au< dieſer Geſang als vorzüglih gelten darf. Dasſelbe gilt von der Rotdrofſel und von der Ringdroſſel. „Jhr Geſang, welchem freilih der reihe Shmelz des Nahtigallenſlages fehlt“, ſagt Tſchudi, „ſchallt in jubelnden Chören hundertſtimmig von allen Hochwäldern her und bringt unausſpre<li< fröhlihes Leben in den ſtillen Ernſt der großen Gebirgslandſchaften.“ Bezeichnend ſür die Droſſeln iſt die Art und Weiſe ihres Vortrages. Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der Geſang im Widerſpruche mit dem Betragen zu ſtehen ſcheint. Viele Vögel begleiten ihre Lieder mit lebhaften Bewegungen: die Droſſeln ſien ſtill, während ſie ſingen, und ihre Lieder ſelbſt fließen ruhig, feierlih dahin wie Kirhengeſang. Jede einzelne Strophe iſt klar abgerundet, jeder Ton in ſich abgeſchloſſen, der Droſſelſhlag daher mehr für den Wald als für das Zimmer geeignet. Die Amſel, welche bei uns verweilt, beginnt bereits im Februar, wenn Schnee und Eis noch die Herrſchaft im Walde führen, mit ihrem Liede; die zu derſelben Zeit in der Fremde weilende Singdroſſel gedenkt ihrer Heimat und ſcheint ſie ſingend begrüßen zu wollen. Wie bei den meiſten guten Sängern, eifern ſi die Männchen gegenſeitig an. Wenn eine Droſſel ihren Geſang beginnt, beeilt ſi jede andere, welche ſie hört, ſingend ihr zu antworten. Eine lernt auh von der anderen: gute Sänger erziehen trefflihe Schüler, Stümper verderben ganze Geſhlecter. Zumal die Amſel nimmt leiht von anderen ihrer Art, ſelbſt von fremdartigen Vögeln an und wird zuweilen zum wirklichen Spottvogel. Es ſcheint, als ob jede Droſſel ſingend eine gewiſſe Eitelkeit bekunden wolle; denn ſo verſte>t ſie ſih für gewöhnlich zu halten pflegt, ſo frei zeigt ſie ſih, wenn ſie ihr Lied beginnt. Sie wählt dann immer eine hohe Baumſpiße zu ihrem Size und ſendet von da oben herab ihre herrlichen Klänge dur<h den Wald.

Die Nahrung beſteht in Kerbtieren, Schne>en und Würmern, im Herbſte und Winter au< in Beeren. Alle Droſſeln nehmen erſtere größtenteils vom Boden auf und verweilen deshalb hier täglih mehrere Stunden. Vom Walde aus fliegen ſie auf Wieſen und Felder, an die Ufer der Flüſſe und Bäche und nach anderen Nahrung verſprechenden Pläßen. Hier leſen ſie auf oder wühlen mit dem Schnabel im abgefallenen Laube herum, um ſi neue Vorräte zu erſchließen. Fliegende Kerfe achten ſie wenig oder niht, doch ſieht man mance Amſeln gelegentlih auh niht ungeſchi>t die Jagd in der Luft betreiben. Beeren ſcheinen den meiſten Arten außerordentlih zu behagen, und die einen lieben dieſe, die anderen jene Sorten. So trägt die Miſteldroſſel niht umſonſt ihren Namen; denn ſie iſt förmlih erpicht auf die Miſtelbeere, ſucht ſie überall auf und ſtreitet ſih wegen ihr mit anderen ihrer Art auf das heftigſte. Schon die Alten behaupteten, daß die Miſtel nur durch dieſe Droſſel fortgepflanzt werde, und dieſe Angabe ſcheint begründet zu ſein. Die Ringdroſſel ſucht ſofort nah der Brutzeit mit ihrer Familie die Heidelbeerbeſtände auf und frißt dann Heidelbeeren in ſolcher Menge, daß ihr Fleiſch davon blau, ihre Knochen rot und ihre Federn befle>t werden. Daß die Wacholderdroſſel ihren Namen niht umſonſt trägt, braucht kaum erwähnt zu werden: ſie dur<hſucht im Winter die Wacholderbüſche auf das eifrigſte und frißt ſo viel von der ihr beſonders zuſagenden Beere, daß ihr Fleiſch infolgedeſſen einen beſonderen Wohlgeſhma> erhält. Außerdem verzehren alle Droſſeln Erd-, Him-, Bromund Johannisbeeren, rote und {hwarze Holunderbeeren, Preißel-, Faulbaum- „ Kreuzdornz, Schlingbaum-, Ebereſchenbeeren, Kirſchen, Weinbeeren 2c.

Bald ad ihrer Ankunft in der Heimat ſchreiten die Droſſeln zur Fortpflanzung, die im Norden wohnenden allerdings ſelten vor dem Anfange des Juni. Mehrere Arten, namentli<h Wacholder- und Ningdroſſel behalten auh am Brutplaße ihre Geſelligkeit bei, andere ſondern ſih während der Fortpflanzungszeit von ihresgleichen ab und bewachen eiferſüchtig das erworbene Gebiet, Der Standort der Neſter iſt verſchieden, je nah Art und Aufenthalt unſerer Vögel; die Neſter ſelbſt aber ſind ſi im weſentlichen ähnlih. Die Miſteldroſſel baut {hon im März, gewöhnlich auf einem Nadelbaume und meiſt in einer Höhe von 10—15 m