Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

96 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

jedo< ſtumpfen Krallen bewehrt, der Flügel lang, in ihm die dritte Schwinge die längſte, der Schwanz kurz, in der Mitte merkli<h ausgeſchnitten, das Gefieder rei<h. Die Oberteile ſind graubraun, Na>en und Halsſeiten deutlicher grau, Mantel und Schultern dur breite, dunkelbraune Schaftfle>en gezeichnet, Kinn und Kehlfedern weiß mit ſhwarzen Endſäumen die übrigen Unterteile bräunlihgrau, ſeitli< roſtrot, dur die verwaſchenen weißlichen Seitenſäume der Federn geziert, untere Shwanzde>en braunſhwarz, am Ende breit weiß, Schwingen und deren Dekfedern braunſchwarz, außen roſtbräunlich gerandet und an der Spibe weiß, die größten oberen Shwanzde>federn am Ende ebenfalls weiß, die Shwanzfedern ſchwarzbraun, außen fahlbraun geſäumt, am Ende der Jnnenfahne roſtweißlih. Das Auge iſt braun, der Schnabel hornſchwarz, der Unterſhnabel horngelb, der Fuß gelbbräunlich. Das Weibchen unterſcheidet ſih dur<h etwas mattere Färbung; die Jungen ſind auf dem grauen Grunde oben roſtgelb und ſhwärzlih, unten roſtgelb, grau und grauſchwarz gefle>t, die braunſhwarzen Shwungfedern roſtfarben gekantet, die Flügel durch zwei roſtgelbe Binden, die braunen Schwanzſteuerfedern dur< roſtgelbe Spißen geziert. Das Auge iſt hellbraun, der Shnabel an der Wurzel gelb, an der Spitze ſchwarz, der Fuß bräunlih. Die Länge beträgt 18, die Breite 30, die Fittihlänge 10, die Shwanzlänge 7 em.

Alle höheren Gebirge Süd- und Mitteleuropas beherbergen die Flüelerhe. Auf den Alpen iſt ſie überall häufig, auf dem Rieſengebirge eine zwar ſeltenere, aber doh regelmäßige Erſcheinung. Jn der Schweiz ſcheint ſie ziemlih alle Gebirgsketten zu bewohnen: wenigſtens traf ſie Girtanner überall im Gebirge an wo die Bedingungen, welche ſie an das Leben ſtellt, erfüllt ſind. Jm Rieſengebirge beſchränkt ſich ihr Aufenthaltsort auf wenige Stellen, namentlich die Rieſenkoppe und das Hohe Rad, woſelbſt man ſie, wenn man ſie cinmal erkundet hat, wenigſtens im Sommer jederzeit annähernd auf derſelben Stelle beerken kann, da ihr ein Gebiet von wenigen Hektaren vollkommen zu genügen ſcheint. Jn der Schweiz ſieht man ſie, laut Girtanner, faſt immer in kleinen Trupps, welche die Nähe der Sennhütten und Viehſtälle der Gebirgseinſamkeit vorzuziehen ſcheinen, mindeſtens ſofort hier ſih zeigen, wenn das Wetter ſtürmiſch iſt oder höher oben im Gebirge Schnee fällt. So hoch wie der Shneefink ſteigt ſie niht empor, treibt ſih vielmehr am liebſten an Steinhalden umher, welche an Felſenwände ſi< anlehnen und niht alles Pflanzenlebens ermangeln. An regengeſhüßten Stellen der Abſäße jener Wände ſteht auh gewöhnlih das Neſt des Paares. Zum Singen wählt ſi<h das Männchen entweder einen hervorſtehenden Fels8bro>en oder einen einzelnen hohen Stein. Der Geſang iſt niht eben bedeutend, doh auh nicht langweilig und entſpricht ganz dem im allgemeinen ſanften, freundlichen Weſen des Sängers ſelbſt.

Unbeobachtet oder wenigſtens vollſter Sicherheit ſih bewußt, hüpft der zuſammengehörende Haufe unabläſſig über und zwiſchen bemooſten Felsſtücken umher, dabei beſtändig freundliche Locktöne ausſtoßend und allmählih vorwärts rü>kend. Währenddem ergreift der Swhnabel bald ein Kerbtier, bald ein Samenkörnchen, bald ein Würmchen, bald eine Beere; denn dem Flüevogel iſt faſt alles ret, das nicht zu hart oder zu wehrfähig erſcheint. Solange er in den höheren Gebirgen auszuhalten vermag, d. h. ſolange niht Schneemaſſen den Boden allzu di> überſchütten, verläßt er ſeinen Stand nicht, weicht aber natürli der Tiefe zu, ſobald jene die kalte Hand auf ihre Futterquelle legen. Fm Winter kommt er bis in die Bergdörfer herunter, geht dann mit der Steinkrähe und den Schneefinken den Spuren der Pferde auf den Landſtraßen nach oder erſcheint ſelbſt zwiſchen den ſtillen Hütten der Älpler.

Jn günſtigen Sommern brütet auch der Alpenflüevogel zweimal; denn man findet ſehr frühzeitig und no< zu Ende Juli Eier im Neſte. Leßteres wird in Steinrißen und Löchern unter Felsblö>en oder in dichten Alpenroſenbüſchen, immer aber auf gede>ten und verſte>ten