Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Sperbergrasmüc@e. Meiſterſänger. 99

Gebüſch dur(hkrieht, am Neſte baut oder auf ihm ſit, treibt ſi<h das Männchen über ihm in den höheren Bäumen unruhig umher, ſingt, ſchreit und achtet darauf, daß kein Nebenbuhler kommt. Erſcheint einer, ſo wird er ſogleih angefallen und ſo lange verfolgt, bis er die Flucht ergreift.“ Das Neſt ſteht im Dickicht oder in großen natürlichen Dornhe>en, meiſt ziemlih gut verſte>, in einer Höhe von 1 m und mehr über dem Boden. Es unterſcheidet ſi< in der Bauart niht von dem allgemeinen Gepräge. Ende Mai oder Anfang Juni findet man in ihm 4—6 geſtre>te, 20 mm lange, 14 mm die, zartſchalige, wenig glänzende Eier, welhe gewöhnlih auf grauweißem Grunde mit hell aſhgrauen und blaß olivenbraunen Fle>en gezeihnet ſind. Die Eltern bekunden am Neſte das tiefſte Mißtrauen und verſuchen regelmäßig ſich zu entfernen, wenn ſie ein Geſchöpf bemerken, welches ſie fürhten. Das Weibchen gebraucht im Notfalle die bekannte Liſt, ſich lahm und krank zu ſtellen. Nähert man ſich einem Neſte, bevor es vollendet iſt, ſo verlaſſen es die Alten gewöhnlich ſofort und erbauen dann ein neues; ſie verlaſſen ſelbſt die bereits angebrüteten Eier, wenn ſie merken, daß dieſe von Menſchenhänden berührt wurden. Die Jungen bringen die Gewandtheit ihrer Eltern im Dur<hſchlüpfen des Gebüſches ſozuſagen mit auf die Welt, treten daher ſehr bald ſelbſtändig auf und entfernen ſich vom Neſte, noch ehe ſie ordentlich fliegen können. Ungeſtört brütet das Paar nur einmal im Fahre; es hat bei der Kürze ſeines Aufenthaltes in der Heimat zu mehreren Bruten kaum Zeit.

Die Nahrung beſteht, wie bei allen Grasmüten, in Kerbtieren, welche auf Blättern und in Blüten leben, zumal Näupchen und Larven verſchiedener, meiſt ſhädliher Shmetterlinge und Käfer, Spinnen und allerlei Gewürm, im Herbſte aber vorzugsweiſe in genießbaren Beeren aller Art, im Sommer wohl au< in Kirſchen.

Bei geeigneter Pflege gewöhnt ſih die Sperbergrasmücke im Gebauer ebenſogut und raſh ein wie ihre übrigen deutſchen Verwandten, iſt auh niht anſpru<hsvoller als dieſe, ſingt bald fleißig und wird zuleßt ſehr zahm.

Die zweitgrößte Grasmücke Europas iſt der Meiſterſänger (Sylvia orphaea, orphea, grisea, crassirostris und caniceps, Curruca orphea, musïca, helenae und jerdoni, Philomela orphea, Abbildung S. 116). Jhre Länge beträgt 17, die des Weibchens 16, die Breite 25, die Fittihlänge 8, die Shwanzlänge 7 cm. Das Gefieder iſt auf der Oberſeite aſhgrau, auf dem Rücken bräunlich überflogen, auf dem Scheitel und dem Na>en bräunlih oder mattſhwaxz, auf der Unterſeite weiß, ſeitlih der Bruſt licht roſtfarbig; die Schwingen und die Steuerfedern ſind matt hwarzbraun; die ſhmale Außenfahne der äußerſten Schwanzfeder iſt weiß; die breite Fnnenfahne zeigt an der Spige einen weißen, keilförmigen Fle>en von derſelben Färbung, die zweite einen weißen Spißenfle>en. Das Auge iſt hellgelb, der Oberſchnabel ſhwarz, der Unterſchnabel bläulihſhwarz, der Fuß rötlichgrau, ein na>ter Ring ums Auge blaugrau. Das Weibchen iſt bläſſer gefärbt als das Männchen und namentlih die Kopfplatte lichter.

Der Meiſterſänger gehört dem Süden Europas an; ſeine Heimat beginnt im nördlichen Küſtengebiete des Mittelmeeres, uns zunächſt in Zſtrien oder der ſüdlichen Schweiz. Da, wo in Spanien die Pinie ihre ſhirmſörmige Krone ausbreitet, wo in den FruchtMen Johannisbrot- Feigen- und Ölbäume zuſammenſtehen, wird man ſelten vergeblich nach ihm ſuchen. Untex gleichen Umſtänden lebt ex in Griechenland oder auf der Balkanhalbinſel überhaupt, in Ztalien und Südfrankreich wie in Südrußland, hier wie dort als Sommergaſt, welcher hier zu Ende des März oder im Anfange des April erſcheint und im September wieder verſchwindet, in Spanien dagegen niht vor Ende April, Ue erſt Anfang Mai eintrifft und kaum länger als bis zum Auguſt im Lande verweilt. Zn Weſtaſien iſ er ebenfalls heimiſch, in Kleinaſien, Perſien ſowie in Turkiſtan ganen, und