Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Meiſterſänger. MönchS8grasmücke. 101

„Der Vogel, welcher von allen anderen der Kanariſchen Fnjſeln den ſ{hönſten Geſang hat, der Kapriote, iſt in Europa unbekannt. Ex liebt ſo ſehr die Freiheit, daß er ſich niemals zähmen läßt. Jh bewunderte ſeinen weichen, melodiſhen Schlag in einem Garten bei Orotava, konnte ihn aber niht nahe genug zu Geſicht bekommen, um zu beſtimmen, welcher Gattung er angehörte.“ So ſagt A. von Humboldt, und es ſind nach des großen Forſchers Beſuch auf den Jnſeln noh Fahre vergangen, bevor wir erfuhren, welchen Vogel er meinte. Fett wiſſen wir, daß der hochgefeierte Kapriote, welchen der Kanarier mit Stolz ſeine Nachtigall nennt, kein anderer iſt als die Mönch8grasmüc>ke, Mönch, Shwarzplätt<hen, Shwarzkappe, Shwarz-, Mohren- oder Mauskopf, Kardinälchen, Kloſter- oder Mönchswenzel (Sylvia atricapilla, nigricapilla, ruficapilla, rubricapilla, pileata und naumanni, Motacilla, Curruca, Philomela und FEpilais atricapilla, Monachus atricapillus, Abbildung S. 98), einer der begabteſten, liebenswürdigſten und gefeierteſten Sänger unſerer Wälder und Gärten. Das Gefieder der Oberſeite iſt grauſhwarz, das der Unterſeite lichtgrau, das der Kehle weißlihgrau, das des Scheitels beim alten Männchen tiefſhwarz, beim Weibchen und jungen Männchen rotbraun gefärbt. Das Auge iſt braun, der Schnabel ſhwarz, der Fuß bleigrau. Die Länge beträgt 15, die Breite 21, die Fittichlänge 6 5, die Shwanzlänge 6 cm. Das Weibchen iſ ebenſo groß wie das Männchen.

Der Mönch bewohnt ganz Europa, nah Norden hin bis Lappland, und Weſtaſien, ebenſo Madeira, die Kanariſchen Jnſeln und die Azoren, während ex in Griechenland wie in Spanien nur auf dem Zuge erſcheint, überwintert ſhon hier, dehnt aber ſeine Wanderung bis Mittelafrika aus. Er trifft bei uns gegen die Mitte des April ein, nimmt in Waldungen, Gärten und Gebüſchen ſeinen Wohnſiß und verläßt uns im September wieder. Soviel mir bekannt, fehlt ex keinem Gaue unſeres Vaterlandes, iſt aber in einzelnen Gegenden, beiſpiel8weiſe in Oſtthüringen, ſeit einem Menſchenalter merklich ſeltener geworden, als er früher war.

„Der Mönch“, ſagt mein Vater, welcher die erſte eingehende Schilderung ſeines Lebens gegeben hat, „iſt ein munterer, gewandter und vorſichtiger Vogel. Ex iſt in ſteter Bewegung, hüpft unaufhörlih und mit großer Geſchi>klichkeit in den dichteſten Büſchen herum, trägt dabei ſeinen Leib gewöhnlih wagere<ht und die Füße etwas angezogen, legt die Federn faſt immer glatt an und hält ſi< ſehr ſhmu> und ſ{hön. Auf die Erde kommt ex ſelten. Sigt ex frei und nähert man ſih ihm, ſo ſucht er ſi< ſogleich in dihten Zweigen zu verbergen oder rettet ſih dur< die Flucht. Er weiß dies ſo geſchi>t einzurichten, daß man den alten Vögeln oft lange vergeblih mit der Flinte nahgehen muß. Die Fungen ſind, auch im Herbſte noh, weniger vorſichtig. Sein Flug iſt geſchwind, faſt geradeaus mit ſtarker Schwingenbewegung, geht aber ſelten weit in einem Zuge fort. Nur nah langer Verfolgung ſteigt ex hoh in die Luft und verläßt den Ort gänzlich. Zur Brutzeit hat ex einen ziemlich großen Bezirk und hält ſih zuweilen niht einmal in dieſem. Bei kalter und regneriſcher? Witterung habe ih die Mönche, welche unſere Wälder bewohnen, manchmal nahe bei den Häuſern in den Gärten gehört. Sein Lo>ton iſ ein angenehmes „Tak ta> ta>‘, worauf ein äußerſt ſanfter Ton folgt, welcher ſich mit Buchſtaben nicht bezeichnen läßt. Dieſes „Ta“ hat mit dem der Nachtigall und der Klappergrasmücte ſo große Ähnlichkeit, daß es nur der Kenner gehörig zu unterſcheiden vermag. Es drückt, verſchieden betont, verſchiedene Gemütszuſtände aus und wird deswegen am meiſten von den Alten, welche ihre Fungen führen, ausgeſtoßen. Das Männchen hat einen vortrefflichen Geſang, welcher mit Recht gleich nah dem Schlage der Nachtigall geſeßt wird. Manche ſhäßen ihn geringer, manche höher als den Geſang der Gartengcasmüce. Die Reinheit, Stärke und das Flötenartige der Töne entſchädigen den Liebhaber hinlänglith für die Kürze der Strophen. Dieſer ſhöne Geſang, welcer bei dem einen Vogel herrlicher iſt als bei dem anderen, fängt mit Anbruch des Morgens