Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

110 Erſte Ordnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

Eichen- und Ulmengebüſche ſeen ihz zuſammen und einigen ſi{< zum faſt undur<dringlichen Dickicht. Einzelne Bäumchen erheben ſich über dieſes Wirrſal von Pflanzen und erſeinen nur deshalb höher, als ſie ſind, weil der Zwergwald unter ihnen den Maßſtab gibt für ihre Höhe. Dieſer Wald nun, welcher auh im übrigen Südeuropa und in Nordweſtafrika vorherrſchend geworden iſt, darf als die eigentliche Heimat der vorſtehend beſchriebenen zwerghaften Grasmüde bezeichnet werden. Sie iſt ein prächtiger Vogel. Zutraulicher, als alle anderen ihres Geſchlechtes, läßt ſie ſih in größter Nähe beobahten, und ohne Sorgen vor dem zu ihr heranſ<hleihenden Menſchen trägt ſie ihr anmutiges Liedchen vor. Solange ſie niht verfolgt wird, ſcheint ſie den Erzfeind der Tiere unter allen Umſtänden und überall für ein in jeder Hinſicht ungefährliches Geſchöpf zu halten. Jn ihrem Betragen hat ſie viel mit unſerem Müllerchen, aber no< mehr mit dem Samtköpfchen, welches dieſelben Örtlichkeiten bewohnt, gemein. Sie beherrſcht ihr Buſchdickicht in der allervollkommenſten Weiſe, bewegt ſich jedo< mehr auf als in den Gebüſchen. An geeigneten Orten wohnt Paar an Paar, und hier ſieht man denn faſt auf jeder hervorragenden Strauchſpiße ein Männchen ſißen, entweder von der Höhe aus die Gegend überſhauend oder ſingend. Gibt man dem Tierchen keine Veranlaſſung zur Furcht, ſo bleibt es ſorglos in Sicht, hüpft munter von einem Zweige zum anderen, ſtreiht mit gewandtem, aber ſelten weit ausgedehntem Fluge von einem Buſchwipfel zum nächſten, nimmt ſi hier und da eine kleine Raupe, ein Käferchen weg, fängt auh wohl ein vorüberfliegendes Kerbtier geſchi>t aus der Luft und [<wingt ſi zeitweilig zu den höhſten Bäumen ſeines Gebietes oder ſingend in die Luft empox, 6—10 m über das Dickicht, von hieraus ſodann in ſchiefer Richtung wieder nah unten [hwebend. Verfolgt man es ernſtlih, ſo ſenkt es ſi in das Buſchdi>kicht hinab und ſ{<lüpft hier mit unbeſchreibliher Fertigkeit von Zweig zu Zweig, ohne ſi ſehen zu laſſen. Dann vernimmt man nur den Warnungsruf noh, ein lang gedehntes, leiſes „Zerr“, welches ſeine Anweſenheit verrät und kundgibt, wie ſ{hnell es das Buſchdi>kicht durcheilt. Der Loton iſt ein wohllautendes „Zäh“ oder „Ted te“ der Geſang ein klangvolles Liedchen, welches aber leider recht leiſe vorgetragen wird. Dem ziemlich langen, vielfah abwechſelnden, teilweiſe hübſ< verſhlungenen Vorgeſange folgt die friſche, laut vorgetragene Shlußſtrophe, welche mehr an eine unſerer Gartengrasmü>en als an den Sthlußſaß der Dorngrasmü>e erinnert.

Das Neſt wird im dichteſten Gebüſche niedrig über dem Boden angelegt, nah unſeren Beobachtungen erſt gegen Ende des Mai; doh kann es ſein, daß dasjenige, welhes wir fanden, ſhon das zweite des Paares war. Es zeichnet ſi< vor dem der Verwandten aus dur zierlihe Bauart und verhältni8mäßig dichte Ausfütterung. Das Gelege bilden gewöhnli<h 4—5 etwa 16 mm lange und 13 mm di>e Eier; ſie ſind auf ſhmußigweißem Grunde mit ölbraunen und olivengrünen Fle>en und Punkten, wel<he zuweilen am dien Ende zu einem Kranze zuſammenlaufen, gezeihnet. Am Neſte gebärden ſih beide Eltern überaus ängſtlih, und das Weibchen braucht, um Gefahren von der Brut abzuwenden, regelmäßig alle Verſtellungskünſte, die in ſeiner Familie üblich ſind.

Jm Norden Spaniens ſcheint die Bartgrasmücke Zugvogel zu ſein. Wir bemerkten ſie im April in Gegenden, in denen ſie ſonſt niht gefunden wird, und trafen ebenſo Mitte September kleine Geſellſchaften an, welche offenbar auf der Neiſe begriffen waren. Nach Lindermayers und Krüpers Beobachtungen erſcheint ſie in Griechenland gegen Ende des YVärz, treibt ſich zunächſt in den ausgetro>neten Betten der Gebirgswäſſer umher und ſteigt dann höher an den Bergen hinauf um dort zu brüten; na<h Salvadoris Angabe verläßt ſie Sardinien gegen den Herbſt hin, dieſer Forſcher bemerkte ſie wenigſtens während des Winters niht mehr. Diejenigen Bartgrasmüen, welche in Ägypten beobachtet worden ſind,

ſcheinen von Südoſteuropa herübergewandert zu ſein; ih wenigſtens habe das Vögelchen