Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

124 Erſte Ordnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

Weiſe zwiſchen aufreht ſtehenden Baumſchoſſen oder tragfähigen Pflanzenſtengeln, ſeltener an einem einzigen Zweige angehängt. Tro>ene Blätter und Halme von feinen Gräſern mit Riſpen, Neſſelbaſtfaſern, auh wohl mit allerlei Tiergeſpinſt vermengt, alles gut dur<einander verflochten und verfilzt, bilden die Außenwandungen und den ſehr dien Boden, ſeine Hälmchen und Pferdehaare die innere Auskleidung. Die 4—5, höchſtens 6 Eier ſind zart und glattſchalig, 18 mm lang, 14 mm di> und auf graubläulichem oder bläulihweißem Grunde mit größeren, zuweilen etwas verwaſchenen, aſhgrauen, oliven- oder dunkelbraunen Fle>en, vielleicht auh braunſ<hwarzen Punkten oder Strichelchen ſpärlich, unregelmäßig und verſchiedenartig gezeichnet. Das Brutgeſchäft verläuft in der beim Teichrohrſänger geſchilderten Weiſe, vielleicht mit dem Unterſchiede, daß die Jungen frühzeitig das Neſt verlaſſen und anfänglich nur kriehend und ſ{lüpfend im Gebüſche ſih bewegen. Jhnen wie den Alten ſtellen verſchiedene Feinde nah, und auh der Menſch wird, indem er die Brutpläßze zerſtört zuweilen gefährlich. :

Gefangene laſſen ſi leicht eingewöhnen und entzü>en durch ihren unvergleihlichen Geſang jeden Liebhaber, welcher mehr erſtrebt, als den langweiligen kleinen ſüdländiſchen Finken eine no< niht beſchriebene Bewegung abzuſehen oder einen noh niht bekannten Quätklaut abzuhören.

Weitverbreitet in Deutſchland und anderswo iſt auh der Uferſhilfſ änger oder Seggenſchilfſänger (Acrocephalus schoenobaenus und phragmitis, Sylyia schoenobaenus und phragmitis, Motacilla schoenobaenus, Calamodus schoenobaenus und phragmitis, Muscipeta, Calamodyta, Salicaria und Caricicola phragmitis). Seine Länge beträgt 14, die Breite 20, die Fittichlänge 6,3, die Shwanzlänge 5 em. Die Oberteile und die ſhmalen Außenſäume der dunkelbraunen Schwingen, Flügelde>en und Steuerfedern ſind fahlbräunlih, Bürzel und Oberſhwanzde>en roſtbräunlih, Mantel und Schultern mit verwaſchenen dunkeln Schaftſtrichen gezeichnet, Scheitel und Oberkopf auf [{<warzbraunem Grunde mit einem fahl bräunlichen, dunkel geſtrichelten Mittellängsſtreifen, an jeder Seite mit einem breiten Augenbrauenſtreifen, die Zügel mit einem durchs Auge verlaufenden ſhmalen Striche geziert, die Kopfſeiten und die Unterteile zart roſtgelblih, Kehle, Bauch und Unterſchwanzdeken heller, mehr weißlich gefärbt. Der Augenring iſt hellbraun, der Schnabel oberſeits hornſhwarz, unterſeits, wie der Fuß, grau.

Vom 68. Grade nördlicher Breite an verbreitet ſih der Uferſchilfſänger über ganz Europa und ungefähr von derſelben Breite an auh über Weſtſibirien und Weſtaſien.

Unſer Uferſchilfſänger bewohnt vorzugsweiſe die Sümpfe oder die Ufer des Gewäſſers, am liebſten diejenigen Stellen, welche mit hohem Seggengraſe, Teichbinſen und anderen ſ{<malblätterigen Sumpfpflanzen beſtanden ſind, ſonſt aber auch Felder in den Marſchen, zwiſchen denen ſcilfbeſtandene Waſſergräben ſich dahinziehen, mit einem Worte, das Ried und nicht das Nöhricht. Rohrteiche und Gebüſche oder in Afrika die mit Halfa beſtandenen dürren Ebenen beſucht er nur während ſeiner Winterreiſe. Ex erſcheint bei uns im lezten Drittel des April und verläßt uns erſt im Oktober wieder; einzelne ſieht man ſogar no< im November. Den Winter verbringt er in Mittelafrika; doh iſt zur Zeit noh nicht bekannt, wie weit er in das Jnnere vordringt. Verſprengte ſind auf hohem Meere beobachtet worden; ſo erhielt Burmeiſter einen, welcher auf der Höhe von Buena Viſta auf das Schiff geflogen kam.

Der Uferſchilfſänger übertrifft als Schlüpfer alle bisher genannten Arten und kommt hierin den Heuſchre>enſängern vollſtändig gleih. Mit mäuſeähnliher Gewandtheit bewegt er ſih in dem Pflanzendi>kicht oder auf dem Boden; weniger behende zeigt er ſih im Fluge, da er bald ſ{hnurrend, bald flatternd, förmlih hüpfend, in Schlangenlinien dahinzieht, ſelten weitere Strecken durhfliegend und meiſt plößlich in gerader Linie in das Ried herabſtürzend.