Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

126 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.

wählt hierzu beſtimmte Halme oder Zweige, zu denen er oft zurükehrt. Andere Vögel, welche ſih auf denſelben Sißpläßen niederlaſſen wollen, werden mit Heftigkeit angegriffen und vertrieben. Wenn das Weibchen brütet, ſingt das Männchen zu allen Tageszeiten ſehr eifrig, am meiſten in der Morgendämmerung, aber auch in hellen Nächten, und belebt dann in anmutender Weiſe Gegenden, in denen man ſonſt kaum Klang und Sang vernimmt. Je eifriger er wird, um ſo mehr ändert er ſein Betragen. Wenn er re<t im Feuer iſt, gebärdet er ſih ſo, daß ihn der Ungeübte kaum für einen Rohrſänger halten kann; denn er fliegt jet, zumal bei ſ<hönem Wetter und um die Mittagszeit, ſehr häufig mit langſamen Flügelſchlägen von ſeinem Sißpunkte aus in ſchiefer Richtung ſingend in die Höhe und ſ{<webt, die Shwingen ſo hoh gehalten, daß die Spigzen ſi oben berühren, langſam wieder herab oder ſtürzt fih gerade von oben hernieder, dabei aber immer aus voller Kehle ſingend und ſi<h no< außerdem ballartig aufblähend.

Ungefähr dieſelben Kerbtiere, welche anderen Rohrſängern zur Speiſe dienen, bilden auch die Nahrung dieſes Shilfſängers; Beeren frißt er ebenfalls. Das Neſt ſteht an ſehr verſchiedenen, in der Regel aber {hwer zugänglichen Orten, im Seggengraſe und ziemlih tief im Sumpfe, oft jedo<h auf ganz tro>enem Gelände in der Nähe und ebenſo 100 bis 200 Schritt entfernt vom Waſſer, ſogar auf ſandigem, aber mit Buſchwerk und Gräſern bewachſenem Grunde, entweder auf dem Boden ſelbſt oder in niedrigen, kleinen Weidentöpfchen, zwiſchen Weidenruten, Neſſelſtielen und anderen derben Stengeln verwoben. Erſt in der zweiten Woche des Mai beginnt der Bau, welcher aus dürren Gräſern, Stoppeln, Hälmchen, feinen Wurzeln, grünem Laube, Moos und dergleichen hergeſtellt, innen aber mit Pferdehaaren und anderen weihen Stoffen ausgepolſtert und ausgelegt wird. Die 5=—6 an dem einen Ende ſtark abgerundeten, an dem anderen auffallend ſpizigen Eier, welche man Anfang Funi findet, ſind 17 mm lang, 12 mm di> und auf ſhmußtigem oder gräulichweißem Grunde mit matten und undeutlichen Fle>en, fkrißeligen Punkten von braungrauer und grauer Färbung gezeihnet und gemarmelt. Beide Eltern brüten in der unſeren Scilfſängern überhaupt üblichen Weiſe mit großer Hingebung, ſind während der Brutzeit no< weniger ſcheu als ſonſt und fliegen, wenn ſie ihre Jungen füttern, unbekümmert um einen dicht neben dem Neſte ſtehenden Beobachter, mit Schmetterlingen und Waſſerjungfern im Schnabel ab und zu, verlaſſen das Neſt bei Störung überhaupt nur in den erſten Tagen der Brutzeit. Nähert man ſi< dem brütenden Weibchen mit Vorſicht, ſo kann man bis unmittelbar zum Neſte gelangen, bevor es letzteres verläßt. Hat es Junge, ſo gebärdet es ſih meiſt ſehr ängſtlih; das Männchen dagegen ſingt, laut Naumann, „ſein Lied und treibt ſeine Gaufkeleien im Fluge ununterbrochen fort, auh wenn dem Neſte Gefahr droht oder dieſes gar ſamt dem Weibchen vor ſeinen Augen zu Grunde geht“, wogegen es, wenn die Jungen ausgeſchlüpft ſind, ängſtlih in einem engen Umkreiſe von einem Halme zum anderen fliegt, einzelne Strophen ſeines Geſanges vernehmen läßt und dazwiſchen ſein laut warnendes „Err“ unabläſſig ausſtößt. Die Jungen verlaſſen das Neſt, wenn ſie vollkommen flügge ſind, gebrauchen aber ihre Shwingen in der erſten Zeit gar niht, ſondern kriechen wie Mäuſe durch die dichteſten Waſſerpflanzen dahin.

Gefangene Uferſchilfſänger gehören zu den Seltenheiten, niht weil ſie ſi< {wer halten, ſondern weil ſie ſhwer zu erlangen ſind. Auch ſie gewöhnen ſi bald an ihre neue Lage, ſind nicht ſo zärtlih und weihli<h wie andere Familienverwandte und wegen ihrer

tunterfeit, Gewandtheit, ſ{hlanken Haltung und lieblihen Geſanges ſehr geſchäßt.

Der nächſte Verwandte des vorſtehend beſchriebenen Vogels iſt der Binſenrohrſänger (Acrocephalus aquaticus und salicarius, Sylyia aquatica, salicaria, striata, paludicola und cariceti, Motacilla aquatica, Salicaria aquatica und cariceti, Muscipeta