Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

140 Erſte Drdnung: Baumvögel; erſte Familie: Sän ger.

Grauſpötter leicht und ſicher von ſeinen Verwandten. Der Lockton, welchen man von beiden Geſchlechtern vernimmt, iſt das ſo vielen Singvögeln gemeinſame „Lac ta>“, der Geſang ein zwar nicht unangenehmes, aber doh höchſt einfaches Lied, welches in mancher Hinſicht an den Geſang gewiſſer Schilfſänger erinnert und von der Nachahmungsgabe oder Spottluſt unſerer Gartenſänger nichts bekundet. Jn ſeinen Bewegungen, wie überhaupt in allen weſentlichen Eigenſchaften, ähnelt der Grauſpötter unſerem Gartenſänger; doch darf er vielleiht als ein minder lebhafter Vogel bezeihnet werden. An das Treiben des Menſchen hat er ſi< ſo gewöhnt, daß er durchaus keine Scheu zeigt, ſih vielmehr in nächſter Nähe beobachten läßt und noh das kleinſte Gärtchen inmitten der Häuſermaſſen großer Städte wohnlih und behagli<h findet. Sein Vertrautſein mit dem Menſchen geht ſo weit, daß er ſih auf den belebteſten Spaziergängen anſiedelt, ſelbſt wenn dieſe bis nach Mitternacht von Laternen glänzend beleuchtet ſein ſollten.

Die Brutzeit beginnt erſt zu Anfang des Juni und währt bis Ende des Juli. Zum Niſten wählt ſi<h das Paar ſtets einen hohen, dihtwipfeligen Baum und eine blätterreiche Stelle des Gezweiges. Hier, immer in beträhtlicher Höhe über dem Boden, ſteht oder hängt das Neſt zwiſchen zwei ſenkre<ht auf- oder ablaufenden Zweigen, welche darin verflochten werden, erinnert alſo in dieſer Hinſicht an die Neſter der Schilfſänger. Die Wandungen ſind ſehr dicht, aber aus verſchiedenen Stoffen zuſammengefilzt. Einzelne Neſter beſtehen aus Grashalmen, di>eren und feineren durcheinander, und werden innen kaum mit Diſtelwolle ausgekleidet; andere ſind faſt ganz aus leßterer oder aus Baumwolle und aus Schalenftü>chen verſchiedener Bäume zuſammengeſetzt. Die Neſtmulde hat einen Durchmeſſer von 5 und eine Tiefe von 4 cm. Das Gelege beſteht aus 3—5 rein eiförmigen Eiern, welche auf blaßgrauem oder blaßrötlihem Grunde mit unregelmäßigen, d. h. größeren und fleineren, Fleden und Punkten von dunkelbrauner bis ſ{hwarzer Farbe gezeichnet ſind. Beide Eltern brüten abwechſelnd, beide füttern die Brut heran, und beide lieben ſie äußerſt zärtlih. Db das Paar mehr als einmal im Sommer niſtet oder nur eine Brut erzieht, laſſe ih dahingeſtellt ſein; ih kann bloß ſagen, daß wir zu Ende des Juli die erſten flüggen Zungen beobachteten, zugleich aber bemerkten, daß die Alten um dieſe Zeit noh niht mauſerten. Höchſt wahrſcheinlich iſt der Grauſpötter in Spanien nur Sommergaſt; ih vermag jedoch hierüber, und alſo auch über die Zeit ſeiner Ankunft und ſeines Wegzuges, Beſtimmtes niht anzugeben. .

Die nächſten Verwandten der Baſtardnachtigallen ſind die Laubſänger (PhylloSC0Pus), Éleine Arten der Unterfamilie, mit hwachem, an der Wurzel etwas verbreitertem, im übrigen pfriemenförmigem, vorn zuſammengedrüctem Schnabel, mittellangen, ſhwachen, turzzehigen Füßen, ziemlih langen Flügeln, unter deren Schwingen die dritte und vierte die längſten, mäßig langem, gerade abgeſchnittenem oder ſhwach ausgekerbtem Schwanze und lo>erem, bei beiden Geſchlechtern faſt im ganzen ſehr übereinſtimmend gefärbtem Kleide.

Znnerhalb der Grenzen unſeres Vaterlandes wohnen vier Arten, deren Lebensweiſe in allen Hauptzügen ſo übereinſtimmt, daß ih ſie gemeinſchaftlih abhandeln darf.

Die ſchönſte und größte Art iſt der Waldlaubſänger, Schwirrlaubvogel, Seiden- und Spaliervögelchen (Phylloscopus sibilator, Phyllopneuste sibilatrix und sylyvicola, Sylvia sibilatrix, flaveola und sylvicola, Sibilatrix sylvicola, Motacilla und Vicedula sibilatrix). Die Länge beträgt 13,7, die Breite 22,5, die Fittichlänge 7 die Schwanzlänge 5,6 em. Die Oberteile ſind hell olivengrün, ein bis auf die Schläfen reichender Augenſtreifen, Kopfſeiten, Kinn und Kehle, Kropf und untere Flügelde>en blaßgelb, die übrigen Unterteile weiß, die Seiten olivenfarben verwaſchen, die Schwingen und

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