Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Nachtigall und Sproſſer: Zug. Nahrung. Neſtleben. Mauſer. A7

und der ſpäte Abend werden jezt von dem Männchen dem Geſange und von dem Weibchen dem Zuhören der Liebeslieder gewidmet; die Zwiſchenzeit füllt die Sorge um das liebe Brot aus. Zu ihr geſellt ſih bald die um die Wiege der Kinder.

Das Neſt wird nunmehr in Angriff genommen und raſch vollendet. Es iſt kein Kunſtbau, um den es ſi< handelt. Ein Haufe dürres Laub, namentli<h Eichenlaub, bildet die Grundlage, trodŒene Halme und Stengel, Schilf und Rohrblätter ſtellen die Mulde her, welche mit feinen Würzelchen oder Hälmchen und Riſpen, auch wohl mit Pſferdehaaren und Pflanzenwolle ausgekleidet wird. Ausnahmsweiſe verwendet die Nachtigall zum Unterbaue ſtarke Reiſer, zu den Wandungen Stroh. Das Neſt des Sproſſers unterſcheidet ſih, nah Päßler, von dem der Nachtigall durh di>ere Wandungen und reihlihere Ausfütterung von Tierhaaren. Das eine wie das andere ſteht regelmäßig auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlungen, zwiſchen jungen Schößlingen eines gefällten Baumes oder an der Seite eines Baumſtrunkes, im Geſtrüppe, in einem Grasbuſche. Ausnahmen hiervon ſind auh beobachtet worden: eine Nachtigall baute, wie Naumann erzählt, in einen Haufen dürres Laub, welcher im Jnneren eines Gartenhäuschens lag; eine andere, nah Dubois, auf das Neſt eines Zaunkönigs, welches etwa 1,5 m über dem Boden auf einem Tannenaſte ſtand. Die 4—6 Eier, welche das Weibchen legt, ſind bei der Nachtigall 21, beim Sproſſer 23 mm lang, bei jener 15, bei dieſem 16 mm di>, übrigens einander ſehr ähnlich, zart- und glattſchalig, mattglänzend und grünlih braungrau von Farbe, in der Regel einfarbig, zuweilen dunkler gewölkt.

Sobald das Gelege vollzählig iſ und das Brüten beginnt, ändert das Männchen ſein Betragen. Die Brut beanſprucht auch ſeine Thätigkeit; es muß das Weibchen wenigſtens auf einige Stunden, gegen Mittag, im Brüten ablöſen und findet ſhon um deshalb weniger Zeit zum Singen. Noch ſhlägt es, der Gattin und ſich ſelbſt zur Freude, aber faſt nur am Tage, kaum mehr des Nachts. Das Neſt bewacht es ſorgſam, die Gattin hält es zu eifrigem Brüten an: ein Sproſſer, deſſen Weibchen Päßler vom Neſte jagte, unterbrach ſofort ſeinen Geſang, ſtürzte ſi< na< der Gattin hin und führte ſie „mit Zornesrufen und Schnabelbiſſen zur Pflicht der Häuslichkeit zurü>“. Nahenden Feinden gegenüber zeigen ſi die um die Brut beſorgten Nachtigallen ſehr ängſtlih, aber auh wieder mutig, indem ſie rührende und gefährliche Aufopferung bethätigen. Die Jungen werden mit allerlei Gewürm groß gefüttert, wachſen raſh heran, verlaſſen das Neſt ſcon, „wenn ſie kaum von einem Zweige zum anderen flattern können“, und bleiben bis gegen die Mauſer hin in Geſellſchaft ihrer Eltern. Dieſe ſchreiten nur dann zu einer zweiten Brut, wenn man ihnen die Eier raubte. Jhre Zärtlichkeit gegen die Brut erleidet keinen Abbruch, wenn man die Jungen vor dem Flüggewerden dem Neſte entnimmt, in ein Gebauer ſte>t und dieſes in der Nähe des Neſtortes aufhängt; denn die treuen Eltern füttern auch dann ihre Kinder, als ob ſie noch im Neſte ſäßen. Schon kurze Zeit nach ihrem Eintritte in die Welt beginnen die jungen Männchen ihre Kehle zu proben: ſie „dichten“ oder verſuchen zu ſingen. Dieſes Dichten hat mit dem Schlage ihres Vaters keine Ähnlichkeit; der Lehrmeiſter ſ<weigt aber auch bereits, wenn ſeine Sprößlinge mit ihrem Stammeln beginnen; denn bekanntlich endet ſhon um Johanni der Nachtigallenſhlag. Noch im nächſten Frühlinge lernen die jugendlichen Sänger. Anfangs ſind ihre Lieder leiſe und ſtümperhaft; aber die erwachende Liebe bringt ihnen volles Verſtändnis der herrlichen Kunſt, in welcher ſie ſpäter Meiſterſchaft erreichen.

Jm Juli wechſeln die Nachtigallen ihr Kleid, nah der Mauſer zerſtreuen ſih die Familien; im September begibt ſi alt und jung auf die Wanderſchaft, gewöhnlich wiederum zu Familien, unter Umſtänden auh zu Geſellſchaften vereinigt. Sie reiſen raf < und weit, machen ſi< aber in der Fremde wenig bemerklih. Jh habe ſie einzeln in den Waldungen des öſtlichen Sudan angetroffen.