Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

106 Siebente Ordnung: Suchvögel; dritte Familie: Möwen.

als lebtere; denn auch ſie ſcheinen von einem beſtändigen Heißhunger geplagt zu werden und geradezu unerſättlih zu ſein.

Anſprechend ſind Geſtalt und Färbung, anmutig die Bewegungen der Möwen, anziehend iſt ihr Treiben. Jhre Stellung auf feſtem Boden nennen wir edel, weil ſie einen gewiſſen Stolz bekundet; ihr Gang iſt gut und verhältnismäßig raſh. Jhre Shwimmfertigkeit übertrifft die der meiſten Drdnungsverwandten: ſie liegen leiht wie Schaumbälle auf den Wogen und ſtehen dur< ihre blendenden Farben von dieſen ſo lebhaft ab, daß ſie dem Meere zum wahren Shmucke werden. Jhr Flug geſchieht mit langſamen Flügelſchlägen; dieſe wechſeln aber oft mit anhaltendem, leihtem und ſ{hönem Schweben ab, das an das der breitflügeligen Falken erinnert und mit ſpielender Leichtigkeit ausgeführt wird. Jm Stoßtauchen ſtehen ſie hinter den Seeſhwalben zurü>, ſtürzen ſich jedoch immer noh ſo heftig auf die Wellen hinab, daß ſie den leichten Leib etwa einen halben Meter tief unter die Oberfläche des Waſſers zwängen. Widerlich iſt die Stimme, die bald aus ſtärker, bald aus ſ{<wächer ſchallenden, kreiſhenden und frächzenden Lauten beſteht und zum Überdruſſe ausgeſtoßen wird, falls ſich irgend eine Erregung des Gemütes bemächtigt. Unter den Sinnen ſtehen das Geſicht und Gehör entſchieden obenan; das Empfindungsvermögen ſcheint ebenfalls wohl entwi>elt zu ſein; einen gewiſſen Geſhma> bekunden ſie durch die Auswahl der beſſeren Nahrungsmittel bei voller Tafel; über den Geruch läßt ſih wohl kaum ein Urteil fällen.

Alle Möwen ſind kluge, verſtändige Vögel, welche die Verhältniſſe wohl zu würdigen und ihr Benehmen danach einzurichten wiſſen; alle ſind mutig anderen Geſchöpfen gegenüber, ſelbſtbewußt und etwas herrſchſüchtig, ihren Gatten und ihrer Brut in treuer Liebe zugethan, lieben auh die Geſellſhaft mit anderen ihrer Art: aber alle zeigen ſi<h ebenſo neidiſh, mißgünſtig und unfreundlih gegen andere Vögel und opfern ihrer Freßgier die ſcheinbar beſtehende Freundſchaft ohne Bedenken. Um andere Meervögel bekümmern ſie ſich nur ſo weit, als eben nötig, entweder weil ſie ſie fürhten, oder weil ſie von ihnen irgend welchen Nuten zu ziehen hoffen. Sie leben und brüten unter anderen Shwimmvögeln; aber nur der Ort, nicht die Geſellſchaft ſcheint ſie zu feſſeln, und wenn ſie es vermögen, ſtehen ſie niht an, die Mitbewohner eines Brutberges zu beſtehlen und zu berauben. Dem Menſchen mißtrauen ſie allerorten und unter allen Umſtänden; gleihwohl erſcheinen ſte immer und immer wieder in ſeiner Nähe, beſuchen jeden Hafen, jede Ortſchaft an der Küſte, umkreiſen jedes Schiff, welches in See geht oder dem Lande ſih nähert, ſoweit es eben zuläſſig erſcheïnt, weil ſie dur< Erfahrung gelernt haben, daß aus dem menſ<hlihen Haushalte immer etwas Brauchbares für ſie abfällt Nach längerer Beobachtung lernen ſie niht bloß die Örtlichkeit, ſondern auch einzelne Perſonen unterſcheiden, zeigen ſi<h demgemäß da, wo ſie oft und ungeſtört Beute machen durften äußerſt zutraulich oder richtiger dreiſt, währénd ſie eine ihnen zugefügte Unbill nicht ſogleich vergeſſen. Eine irgendwie geſchädigte Möwe pflegt allen anderen Mitteilung zu geben, wie denn überhaupt unter ihnen das beſte Einvernehmen herrſcht, ſobald es gilt, einer gemeinſchaftlihen Gefahr zu begegnen, einem gemeinſchaftli<hen Feinde zu widerſtehen: Raubvögel, Raubmöwen und Kolkraben oder Krähen werden von allen Möwen, die in der Nähe ſind, gleichzeitig angegriffen und gewöhnlih auch in die Flucht geſchlagen.

Außer der Brutzeit kann es geſchehen, daß man alte Möwen auh einzeln ſieht; während der Brutzeit aber vereinigen ſi<h alle Arten zu Geſellſchaften, die niht ſelten zu unzählbaren Scharen anwachſen. Schon im nördlichen Deutſchland gibt es Möwenberge, die von mehreren hundert Paaren bewohnt werden; weiter oben im Norden kann man Anſiedelungen ſehen, deren Anzahl keine Schäßung zuläßt. Auch hier halten ſih die größeren Arten der Familie minder eng zuſammen als die kleineren; dieſe aber bede>œen im