Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Mantelmöwe. Heringsmöwe. 100

Fiſche verſchiedener Größe bilden ihre Hauptnahrung, Aas von Säugetieren oder Fiſchen eine ſehr beliebte Speiſe; nebenbei fängt ſie Lemminge, junge und franke Vögel, die ſie erlangen kann, raubt ſ{hwäheren Seevögeln die Eier weg oder ſucht am Strande allerlei Gewürm und Kleingetier zuſammen. Sind ihr die Schalen gewiſſer Krebſe und Weichtiere zu hart, ſo fliegt ſie mit der Beute auf und läßt ſie aus bedeutender Höhe auf Felſen fallen, um ſie zu zerſchellen. Fn der Gefangenſchaft gewöhnt ſie ſich bald an Brot und ſieht in dieſem ſ{hließlih einen Leerbiſſen.

Während meiner Reiſe in Norwegen und Lappland habe ih die Mantelmöwe oft geſehen, ihre Brutpläße aber erſt im nördlichſten Teile des Landes, am Porſangerfjord, gefunden. Einzelne Silbermöwen, ihre gewöhnlichen Niſtgefährten, beobachtete ih auh ſhon auf den Vogelbergen der Lofoten und hier ſtets auf dem Gipfel der Berge; Mantelmöwen aber konnte ih troß des eifrigſten Suchens nicht entde>en. Eine Fnſel im Porſangerſjord wurde von mehreren hundert der beiden Arten bevölkert. Die Neſter ſtanden auf dem Moorboden nicht gerade nahe zuſammen, aber doh auch ſelten weiter als 50 Schritt voneinander entfernt, die von beiden Arten zwiſchen- und nebeneinander, als ob die ganze Anſiedelung nur von einer einzigen Art gebildet worden wäre. Mehrere waren ſehr hübſ{< gerundete und auch mit feinen Flechten ſorgfältig ausgekleidete Vertiefungen, andere nach: läſſiger gebaut. Drei große, dur<hſchnittlih etwa 80 mm lange, 55 mm die, ſtarkſchalige, grobkörnige, glanzloſe, auf grünlihgrauem Grunde braun und aſhgrau, öl: und ſ{hwarzbraun getüpfelte und gefle>te Eier bildeten das Gelege und wurden von beiden Eltern ängſtlih und ſorgfältig bewacht.

Ein ungeheurer Aufruhr erhob ſih, als ih die Fnſel betrat. Diejenigen, welche gerade mit Brüten beſchäftigt waren, blieben ſißen und ließen mich bis auf wenige Schritte an ſi herankommen, gleichſam, als hofften ſie, daß mich die Wachthabenden zurückſhre>en würden. Leßtere hatten ſi< unter lautem Geſchrei erhoben und umſchwebten mich in geringer Entfernung, beſtändig von oben nah mir herabſtoßend, dann ſih wieder erhebend, freiſend und von neuem zum Angriffe übergehend. Mehrere Male flogen ſie ſo dicht an meinem Kopfe vorüber, daß ih mit den Flügelſpizen berührt wurde; zu einem Angriffe mit dem ſcharfen Schnabel erdreiſteten ſie ſich jedo<h niht. Jn mehreren Neſtern befanden ſi kleine Junge, die ſih bei Annäherung ſofort zwiſchen den Flechten und Grashalmen zu verbergen ſuhten und auch in der That trefflih verbargen.

Später habe ih das Brutgeſchäft an meinen ſehr zahmen Pfleglingen beobachten fönnen. Das Paar hatte ſih einen geeigneten Plaß des Geheges, der durch einen Buſch verde>t war, zum Niſten ausgeſucht, hier eine vorgefundene Vertiefung einfa ausgekleidet und 3 Eier gelegt. Leßtere wurden vorzugsweiſe vom Weibchen bebrütet; das Männchen hielt ſich jedoch ſtets in deſſen Nähe auf und verriet es jenem ſofort, wenn ih mi<h nahte. Um andere Menſchen kümmerte ſi< das Paar nicht; denn es hatte bald erfahren, daß ih allein zum Störenfriede wurde. Näherte ih mi< dem Neſte mehr als gewöhnlich, ſo eilten beide Eltern ſhreiend auf mi zu, griffen mi dreiſt an und biſſen mih, zuweilen ſehr empfindlich, in die Beine. Nach einer Brutzeit von 26 Tagen ſ{lüpften die Jungen aus, wurden bald nah dem Abtro>nen aus dem Neſte geführt, anfänglich aber jeden Abend wieder dahin zurückgebracht. Am Tage treiben ſie ſih zwiſchen dem Gebüſche umher, jede Warnung ihrer Eltern ſofort beachtend. Leßtere kannten meine Stimme ſo genau, daß ih ſie bloß anzureden brauchte, um ihre Beſorgnis wachzurufen. Auf den Anruf kamen beide unter lautem „Djau kau — ahahahah“ auf mi< zu und verſfuhten meine Aufmerkſamkeit von den Jungen, die ſih inzwiſchen gedrü>t hatten, abzulenken. Fhre Sorgfalt für die Pfleglinge minderte ſi<h nah und nach einigermaßen; jedo< eilten ſie, auh nachdem die Jungen bereits vollſtändig erwachſen, ſofort herbei, wenn jemand dieſen zu