Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Stummelmöwe: Vorkommen. Gebaren. Stimme. Fortpflanzung. Feinde. 119

frißt; Holböll hat auch beobachtet, daß während der Brutzeit das Nördliche Eismeer gleihſam angefüllt iſt mit Maſſen von Lodden, daß die Seehunde, wenn ſie dieſe Fiſhe von unten verfolgen, der Möwe zu leichtem Fange verhelfen, daß ſie ſpäter genötigt iſt, zehn und mehr Seemeilen weit zu fliegen, um die Nahrung zu gewinnen: findet aber doh noh feine genügende Antwort für jene Frage und zweifelt, obgleih man alle Zweifel durch die thatſähliche Erfahrung widerlegt ſieht. Wie unendlich rei das Meer iſt, wie ſreigebig es auch dieſer Möwe den Tiſh beſchi>t, das bemerkt man, wenn ſie, verſchlagen und verirrt, das Junere des Feſtlandes beſucht. Hier findet man ſie oft tot am Waſſer liegen, und wenn man dann ihren Magen unterſucht, dieſen vollſtändig leer. Sie, die vom Reichtum verwöhnte, erliegt am Lande dem Mangel und verhungert.

Graba fand, daß die Brutpläße dieſer Möwe, die er auf den Faröer beſuchte, nah Weſten und Nordweſten gegen das Meer gerichtet waren und {ließt daraus, daß die Stummelmöwe ſolche Fel8wände zum Brüten benutze, welche | enkre<t zur herrſchenden Windrihtung ſtehen und dem abfliegenden Vogel ermöglichen, ſogleich den zum Fluge günſtigſten Wind zu benußen; Boje meint, daß die Fülle der Nahrung, die zu gewiſſen Zeiten in der Nähe beſtimmter Küſten vorhanden, der hauptſächlihſte Grund für die Wahl ſein möge, und Faber glaubt, daß Heimats- und Geſellſchaftstrieb dieſe Wahl beſtimmen. Wie dem auh ſein möge: eins ſteht feſt, daß die einmal erwählten Felswände jahraus jahrein wieder bezogen werden, anſcheinend in immer gleicher Anzahl, daß aber die Vögel ſelbſtverſtändli nur ſolche Wände wählen, welche ihnen Naum zux Anlage ihrer Neſter gewähren. Alle Möwenberge beſtehen aus einzelnen Abſätzen oder Geſimſen übereinander und ſind reih an Höhlen und Vorſprüngen; in den Höhlen und auf den Abſäßen ſteht Neſt an Neſt, vom Fuße des Berges bis zur Höhe hinauf; jedes Pläßchen iſt benußt worden, jedes Geſims dient Tauſenden von Paaren zur Brutſtätte ihrer Kinder. Bald nach ihrer Ankunft ſieht man die Paare neben den Neſtern ſigen, in den anmutigſten Stellungen ſich liebkoſen, wie Tauben ſchnäbeln, ſih gegenſeitig im Gefieder neſteln und vernimmt ihr Girren, oder wie man es ſonſt nennen will, die zarteſten Laute nämlich, die eine Mówe hervorbringen kann, vorausgeſeßt natürlich, daß jene Laute nicht wie gewöhnlih von dem allgemeinen Lärme übertönt werden. Während dieſe ſich liebkoſen, fliegen jene ab und zu, Neſtſtoffe herbeiſchleppend, und ſo wird der Berg beſtändig eingehüllt von einer Vogelwolke, und ununterbrohen wimmelt und wirrt es durcheinander. Das Neſt ſelbſt beſteht der Hauptſache nah aus Tang, wird aber dur den Kot der Vögel im Laufe der Jahre mit hohen Rändern verſehen und braucht alſo vor Beginn der Brut nur ein wenig ausgebeſſert zu werden. Das Gelege bilden 3—4 etwa 53 mm lange, 40 mm die, auf ſ<mutig roſtgelbem, weißgrünlihem oder roſtrötlihem Grunde ſpärlich dunkler gefle>te und getüpfelte Eier. Man nimmt an, daß jedes Pärchen ſih nur ſeiner eignen Brut widmet, iſt aber niht im ſtande, zu begreifen, wie es mögli iſt, daß das Paar unter den Hunderttauſenden ſein Neſt, ja den Gatten herauszufinden vermag. Die Fungen verweilen bis Mitte Auguſt im Neſte, find bis dahin vollkommen flügge geworden und ſhwärmen nun auf das hohe Meer hinaus, vorher ſelbſtverſtändlih zum unendlichen Geſchrei no< nah Kräften beitragend.

Wie alle kleineren Arten der Familie haben au< die Stummelmöwen von Edelfalfen, Seeadlern und Raubmöwen viel zu leiden; erſtere nehmen ſie vom Neſte oder aus der Luft weg, leßtere peinigen ſie. Der Nordländer brandſchagßt ſie, ſoviel er kann; denn ihre Eier gelten mit Recht als höchſt ſhmachaſt. Aber die Ausbeutung der Vogelberge hat ihre unſäglichen Schwierigkeiten und troß des Mutes der fühnen Vogelfänger ſo wenig Erfolg, daß der den Vögeln zugefügte Verluſt kaum als nennenswert bezeichnet werden kann.

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