Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

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Allgemeine Merkmale. Sinnesſchärfe. Begabung. 203

Haken ſpißiger, der Rand der Schneiden ſchärfer, als es bei den leßtgenannten Vögeln der Fall iſt. Häufig wird die Schärfe der Shneiden noh durch einen Zahn erhöht, der ſich über der Spiße des Unterkiefers befindet; wo dieſer Zahn fehlt, iſt die Oberkieferſchneide wenigſtens vorgebogen; nur ganz ausnahmsweiſe ſind die Schneiden niht ausgebuchtet. Der Fuß erinnert ebenfalls an den der Papageien. Ev iſt kurz, ſtark und langzehig, unterſcheidet ſi von leßterem aber ſtets durch die Entwickelung der Krallen, die den Fuß eben zum Fange umgeſtalten. Die Krallen ſind mehr oder weniger ſtark gebogen und dann ſehr ſpiig, ſelten flah gekrümmt und ſtumpf, auf ihrer Dberſeite gerundet, auf der Unterſeite aber meiſt etwas ausgehöhlt, ſo daß zwei faſt ſhneidige Ränder entſtehen, ſtellen daher ein ebenſo vorzügliches Greifwerkzeug wie eine fur<htbare Waffe dar.

Die Befiederung zeigt je nah den Familien und Gattungen erhebliche Unterſchiede. Jm allgemeinen ſind die Federn groß und ſpärlich geſtellt; bei den Falken aber findet gerade das Gegenteil ſtatt. Ein Afterſchaft fehlt bei dem Fiſchadler und den neuweltlihen Geiern. Daunen treten in Form von Staubdaunen bei Geiern und anderen Fangvögeln entweder auf allen Teilen des Körpers oder in beſonders erſihtliher Weiſe auf dem Halſe und in Zügen auf, welche die Fluren der Außenfedern begleiten und unter Umſtänden auch ihre Stelle einnehmen. Die Federn fehlen zuweilen einzelnen Stellen des Kopfes, oft dem Zügel und, wie bei vielen Papageien, einer Stelle ums Auge. Wie bei den Papageien teilt ſich die Rückenflur zwiſchen den Schulterblättern und verkümmert weiter nah unten hin; die beiden ſeitlihen Stämme der Unterflux ſind weit getrennt, zuweilen im vorderen Teile außerordentlich verbreitert und zweigen meiſt einen beſtimmten äußeren Aſt am Schulterbuge ab. Schwingen und Steuerfedern ſind immer beträchtlich groß; ihre Anzahl iſt eine ſehr regelmäßige: 10 Handſchwingen, mindeſtens 12, meiſt aber 13—16 Armſchwingen und faſt durhgehends 12 paarig ſi gleichende Steuerfedern find vorhanden. Düſtere Färbung herrſcht im Gefieder vor; doch fehlt ihm anſprechende Farbenzuſainmenſtellung keineswegs und noh weniger unſeren Schönheitsſinn befriedigende Zeichnung. Einzelne Fangvögel dürfen ſogar als farbenſchöne Geſchöpfe bezeichnet werden. Die federloſen Hautſtellen am Kopfe, die Kämme und Kehllappen am Schnabel, die ebenfalls vorkommen, der Zügel, die Wachshaut, der Shnabel, der Fuß und das Auge ſind zuweilen ſehr lebhaft gefärbt.

Unter den Sinneswertzeugen iſt vor allen das Auge beachtenswert. Es iſt immer groß und zeigt die dur den Fächer bedingte innere Beweglichkeit am vollkommenſten, geſtattet daher au< ein gleichſcharfes Sehen in verſchiedenen Entfernungen und ſtellt ſich für dieſe mit größter Leichtigkeit ein. Wenn man dem Auge eines Geiers die Hand abwechſelnd nähert und wieder entfernt, kann man ohne Mühe wahrnehmen, wie der Stern des Auges ſi< verändert. Das Gehör iſt bei den Fangvögeln ebenfalls hoch entwidelt, das Riechwerkzeug hingegen im Vergleiche zu Auge und Dhx als verkümmert anzuſehen, obgleich, zumal von den Geiern, das Umgekehrte oft behauptet worden iſt. Jedenfalls iſt das Gefühl als Empfindungsvermögen beſſer entwi>elt als Geruch oder Geſchma>, denn auch dieſer ſheint niht auf beſonders hoher Stufe der Entwi>kelung zu ſtehen, obgleich ſi nicht verkennen läßt, daß Fangvögel zwiſchen dieſer und jener Nahrung Auswahl treffen, ſogar in gewiſſem Grade le>er ſind.

Geiſtige Beſchränkung wird nur bei wenigen Fangvögeln beobachtet; die übrigen laſſen über ihren hohen Verſtand feinenZweifel aufkommen. Die meiſten Eigenſchaften des Geiſtes, die man ihnen nahrühmt, ſind begründet, Mut und Selbſtbewußtſein, freilih auh Gier, Grauſamkeit, Liſt und ſogar Tücke für ſie bezeichnend. Sie handeln, nahdem ſie vorher wohl überlegt haben, planen und führen die Pläne aus. Fhren Familiengliedern im geſellſchaftlichen Sinne ſind ſie mit hoher Liebe zugethan, Feinden und Gegnern treten ſie kühn gegenüber, an Freunde ſchließen ſie ſih innig an. Welch hoher Ausbildung ſie fähig ſind.