Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/3

Allgemeines: Verbreitung. Wanderungen. Fortpflanzung. 205

beiſpiel8weiſe die großen Adler, we<ſeln regelmäßig mit zwei Horſten, und ſehr gern nimmt der kleine Wanderfalke die Horſte der Adler, die lebtere ſchon der bedeutenden, für ſie erforderlichen Größe halber ſelbſt errihten müſſen, in Beſchlag. So kann es geſchehen, daß in dem einen Jahre der See- oder Fiſchadler, in dem anderen der Wanderfalke abwechſelnd auf einem Horſte brüten. Fn Horſten, die urſprünglich wahrſcheinlih vom Buſſarde erbaut worden waren, fand E. von Homeyer Schreiadler, Königsmilane, Wanderfalken und Habihte brütend.

Der Paarung gehen mancherlei Spiele voraus, wie ſie den ſtolzen Vögeln angemeſſen find. Prachtvolle Flugübungen, wahre Reigen in hoher Luft, oft ſehr verſchieden von dem ſonſt gewöhnlichen Fluge, ſind die Liebesbeweiſe der großen Mehrzahl; eigentümliche, gellende oder äußerſt zärtliche Laute bekunden die Erregung bei einzelnen Arten. Eiferſucht ſpielt natürlih au< unter dem Herrſchergeſ<hlechte ſeine Rolle: jeder Eindringling ins Gehege wird angegriffen und womöglich verjagt, niht einmal ein fremder, das heißt niht derſelben Art angehöriger Vogel geduldet. Prachtvolle Wendungen, pfeilſchnelle Angriffe, glänzende Abwehr, mutiges gegenſeitiges Verfolgen und ebenſo mutiges Standhalten kennzeihnen derartige Kämpfe. Wenn ſih die ergrimmten Kämpen paen, geſchieht es immer gegenſeitig: ſie verkrallen ſich ineinandex und ſtürzen nun, unfähig, die Shwingen fernerhin geſchi>t zu gebrauchen, wirbelnd aus der Höhe herab. Unten wird der Kampf augenbliŒlih abgebrochen; aber ſowie ſih beide wieder in die Luft erheben, beginnt er von neuem mit gleicher Heftigkeit. Nach langem Zweikampfe zieht ſich der ſchwächere Teil zurück und flieht, verfolgt von dem Sieger, über die Grenzen des Gebietes. Troß der erlittenen Niederlage gibt er aber den Streit nicht auf; oft währt dieſer tage-, ja wochenlang, und nur wiederholtes Siegen verſchafft dem Überwinder die Ruhe des Beſißes. Ein tödlicher Ausgang kommt wohl auch, wenngleich ſelten vor. Das erwählte oder erkämpfte Weibchen, das mit inniger Liebe an ſeinem Gatten hängt und derartige Kämpfe mit entſchiedener Teilnahme verfolgt, ſcheint keinen Anſtand zu nehmen, bei einem für ihren Gatten ungünſtigen Ausgange des Streites ſih dem Sieger zu eigen zu geben.

Die Eier ſind rundli&, in den meiſten Fällen ziemlih rauhſchalig und entweder rein weiß, gräulich, gelblih oder auf lihtem Grunde mit dunkleren Fle>en und Punkten gezeichnet. Jhre Anzahl ſhwankt zwiſchen 1 und 7. Bei den meiſten Fangvogelarten brütet das Weibchen allein, bei einzelnen löſt das Männchen es zeitweilig ab. Die Brutdauer währt zwiſchen 3 und 6 Wochen; dann ſchlüpfen die unbehilflihen Fungen aus: kleine, runde, über und über in weißgrauen Wollflaum gekleidete Tiere mit großen Köpfen und meiſt offenen Augen. Sie wachſen raſh heran und bekommen wenigſtens auf der Oberſeite bald eine dite Befiederung. Jhre Eltern lieben ſie, wie auh ſchon die Eier, ungemein, verlaſſen ſie nie und geben ſih ihrethalben ſelbſt dem Tode preis, falls ſie ſi< zu ſ{hwac<h fühlen, Angriffe abzuwehren. Äußerſt wenige Fangvögel zeigen ſih mutlos bei ſolchen Gelegenheiten; die größere Menge beweiſt im Gegenteile eine a<htungswürdige Kühnheit. Manche tragen die gefährdeten Jungen au< wohl einem anderen Orte zu, um ſie zu ſichern. Ebenſo aufopfernd, wie ſie ſi< einem Feinde gegenüber zeigen, mühen ſie ſich, ihrer Brut die nôtige Azung herbeizuſchaffen. Sie ſchleppen im Überfluſſe Beute herbei, werfen ſolche bei Gefahr ſogar aus hoher, ſicherer Luft aufs Neſt hinunter. Anfänglich erhalten die Jungen halbverdaute Nahrung, welche die Alten aus ihrem Kropfe aufwürgen, ſpäter werden ihnen zerſtücfelte Tiere gereiht. Doch iſt bei einigen nur die Mutter fähig, die Speiſe mundgere<ht zu bereiten; das Männchen verſteht das Zerlegen der Beute niht und muß ſeine geliebten Kinder bei vollgeſpi>ter Tafel verhungern laſſen. Auch nah dem Ausfliegen noh werden die jungen Räuber längere Zeit von ihren Eltern geführt, ernährt, unterrihtet und beſ<hügßt.